"Bali-Paket" wird für WTO zur Existenzfrage

Nusa Dua - Auf Bali entscheidet sich das Schicksal der Welthandelsorganisation: Misslingt den Handelsministern die Verabschiedung des "Bali-Pakets", droht der WTO das Ende.
Auf Bali entscheidet sich von Dienstag bis Freitag das Schicksal der von vielen bereits totgesagten Doha-Welthandelsrunde - und wohl auch jenes der Welthandelsorganisation (WTO).
Für die 1995 geschaffene Organisation zur Liberalisierung des Welthandels gibt es dabei zwei Szenarien: Ein Fiasko, das ihre Existenzberechtigung in Frage stellt. Oder ein Triumph der Kompromissbereitschaft, mit dem die festgefahrenen Doha-Verhandlungen über ein weltweites Freihandelsabkommen neu gestartet werden könnten.
Letzteres hoffen nicht nur Exportnationen wie Deutschland. Vor allem die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) würden von einem „Bali Deal“ profitieren. Ein Durchbruch zu einer globalen Handelsliberalisierung könnte enorme Potenzen entfesseln. So rechnet die Internationale Handelskammer (ICC) mit einem Investitionsschub für die Weltwirtschaft von 960 Milliarden Dollar (710 Mrd Euro) und 21 Millionen neuen Jobs, 18 Millionen davon in Entwicklungsländern.
Dafür hat der brasilianische WTO-Generaldirektor Roberto Azevêdo in den nächtelangen Vorverhandlungen alle Register der Handelsdiplomatie gezogen. Die meisten der 159 WTO-Mitgliedstaaten würden das sogenannte Bali-Paket auch gern annehmen. Es enthält eine Reihe einzelner Maßnahmen, darunter zur Reduzierung bürokratischer Hürden im grenzüberschreitenden Warenverkehr und zum Abbau von Agrarsubventionen, verknüpft mit Beihilfen für die ärmsten Länder.
Azevêdo: "Ziellinie ist nicht überschritten"
Aber trotz breiter Zustimmung gelang es vor der Konferenz nicht, „die Ziellinie zu überschreiten“, räumte Azevêdo ein. Was die Diplomaten am WTO-Hauptsitz in Genf nicht schafften, sollen nun die auf Bali versammelten mehr als 120 Handelsminister stemmen. Es gebe - so Azevêdo im „Wall Street Journal“ - „nur noch so wenige und klar überschaubare Hürden, dass sie mit politischem Einsatz und politischem Willen genommen werden könnten“.
Doch ebenso wie die Doha-Ziele könnte auch das viel kleinere Bali-Paket nur im Konsens aller Mitgliedstaaten angenommen werden. „Selbst die größte Mehrheit reicht eben nicht, wenn es Quersteller gibt“, sagt ein westlicher Diplomat. Ein starker „Quersteller“ ist Indien. Dieser Streit - es ist nicht der einzige - dreht sich um den Kompromissvorschlag im Bali-Paket, Entwicklungsländern den Aufkauf von Nahrungsmitteln zu staatlich subventionierten Preisen zwecks Anlegung von Versorgungsreserven weiter zu gestatten - aber nur für vier Jahre.
Indien lehnt das ab, aus innenpolitischen Gründen: Die regierende Kongresspartei hat für das Wahljahr 2014 den Start eines Programms zur Bereitstellung preiswerter Lebensmittel für Millionen von Armen versprochen. Die staatlichen Zuschüsse könnten gegen WTO-Regeln verstoßen, wonach Agrarsubventionen für maximal zehn Prozent der Gesamtproduktion zulässig sind.
Deal hängt von Indien ab
Indiens Handelsminister Anand Sharma fordert angesichts drohender Schelte durch die heimische Opposition eine Ausnahmeregelung ohne echte Befristung. Derartiges wollen die USA auf keinen Fall akzeptieren. Auch Pakistan und Thailand kritisieren die Haltung Indiens. Sie beklagen, dass dessen subventionierte Überschüsse nur zu oft auf freien Märkten Asiens landen statt in Vorratslagern für Arme.
Sollte Indien nicht einlenken, wird es kaum einen Deal geben. Denn dass die Amerikaner sich bewegen, gilt als ausgeschlossen. „Denen ist die WTO längst egal“, sagt ein afrikanischer Delegierter. Die USA sind freilich nicht das einzige Land, das wegen der Doha-Sackgasse längst eigene Wege geht und seinen Außenhandel durch bilaterale oder regionale Abkommen ankurbelt. In Asien sind solche Vereinbarungen wie Pilze aus dem Boden geschossen. China organisiert Freihandel mit Südostasien, die USA mit den Pazifikanrainern, und demnächst wohl auch mit der EU.
„Die Welt wird nicht ewig auf die WTO warten“, hatte Azevêdo bei seinem Amtsantritt im September gewarnt. Gewiss nicht, sollte auch die Bali-Konferenz ein Fehlschlag werden. Das könnte die WTO auch auf dem Gebiet erheblich schwächen, auf dem sie unbestritten wertvolle Arbeit leistet - bei der Schlichtung von Streitigkeiten, etwa zwischen Boeing und Airbus oder zwischen dem Westen und China um dessen Rohstoff- und Billigwarenexporte.
dpa