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Taktik-Experte: "Ballbesitz hat keine Bedeutung für Sieg"

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Roger Schmidt (l.) und Pep Guardiola haben großen Einfluss auf die Taktik in der Bundesliga, meint Experte Daniel Memmert. © dpa

Düsseldorf - Die Fußball-Bundesliga ist auch in taktischer Hinsicht für den Kölner Sportspielforscher Daniel Memmert eine Weltmeisterliga. Er fordert aber noch mehr Mut zur Kreativität.

Die Taktik und die Variabilität von Spielsystemen ist für den Sportspielforscher Daniel Memmert der zentrale Faktor für den Erfolg in der Fußball-Bundesliga. „Es kommt auf einen Mix von Vielem an. Der Gegner darf nie wissen, was man macht“, sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Ein Mangel an taktischen Finessen gibt es nach Memmerts Ansicht in Liga eins nicht, er fordert aber noch mehr Mut zur Kreativität: „Es hat mit neuen Ideen 2014/15 etwas Fahrt aufgenommen.“

Frage: Bayern München hat mit Jupp Heynckes, den die Spieler verehrt haben, 2013 das Triple gewonnen. Mit dem Trainer-Fuchs Pep Guardiola gelang es nicht. Kommt es nicht nur auf die bessere Taktik an?

Antwort: Der Fußball ist komplex, und beim Triple muss alles passen: Die Spieler müssen am Zenit ihrer Leistung stehen. Es darf keine Verletzungen von Schlüsselspielern geben, die Gegner müssen Schwächen zeigen, und ein wenig Glück gehört auch dazu. Da viele Spieler technisch und athletisch sehr gut ausgebildet sind, sehe ich in der Taktik weiterhin den zentralen Faktor, der durch Training am stärksten beeinflussbar ist.

Frage: Was hat sich Neues in der Fußball-Bundesliga in Sachen Taktik, Spielsysteme und -auffassung in der Saison 2014/15 getan?

Antwort: Den ersten Paukenschlag gab es beim Spiel Borussia Dortmund gegen Bayer Leverkusen. In der Partie konnte der neue aus Salzburg kommende Bayer-Trainer Roger Schmidt mit seinem Konzept erstmals zeigen, dass es auch in der Bundesliga funktionieren kann. Nämlich das aggressive Pressing und Gegenpressing, bei dem er die ganze Mannschaft hoch gegen den Ball arbeiten lässt.

Frage: Bayer 04 hat damit für Furore gesorgt, hat aber besonders in der Hinrunde viele Gegentore gefangen. 

Antwort: Leverkusen hat eine gute Hinrunde gespielt, nicht immer die Punkte geholt, war aber vom Spielsystem immer überlegen. Diese Spielweise war schon der erste Aufreger.

Frage: Ist ein Schlüssel zum Erfolg immer noch, so viel Ballbesitz wie möglich - wie einst zu Zeiten des Tiki-Taka des FC Barcelona mit Pep Guardiola - und damit die Dominanz im Spiel zu haben?

Antwort: Seit vier, fünf Jahren haben wir verlässliche Daten, die zeigen: Die Wahrscheinlichkeit, Tore zu schießen, ist größer, wenn man den Ball nicht hat, als wenn man ihn hat. Gemeint ist: Wenn man den Ball nicht hat und ihn hoch in der gegnerischen Hälfte wieder durch Jagen bekommt, ist der Weg zum Tor kurz, wenige, eher unsortierte Gegenspieler und die Räume groß. Da gibt es ein paar Sekunden mehr, um zum Abschluss zu kommen.

Frage: Viel Ballbesitz garantiert also keinen Erfolg?

Antwort: Der Ballbesitz hat keinen Einfluss auf die Anzahl der Tore, die man schießt, und keine Bedeutung für Sieg und Niederlage. Aber viel Ballbesitz hat etwas Einschüchterndes und Demütigendes - und man kann regenerieren. Kraft wird bei der Balleroberung verschwendet.

Frage: Den Wechsel von Dreier- auf Viererabwehrkette während des Spiels hat Bayern-Coach Guardiola öfter praktiziert. Revolutionär?

Antwort: Bei Bayern München ist das neu, aber für Guardiola ist das gängige Praxis in Barcelona gewesen. In seiner letzten Saison hat er zu Beginn der Hinrunde mit Dreierkette agiert, aber auch nicht ganz so erfolgreich, wie er gewünscht hatte.

Frage: Was hatte die Bundesliga noch an Taktik-Neuheiten zu bieten?

Antwort: Die Weiterentwicklung von Mannschaften: Ein gutes Beispiel ist Gladbach, das eine gute Balance zwischen Ballkontrolle, starker Defensivarbeit, schnellem Umschaltspiel in beide Richtungen und extrem zielgerichteten Kontern gefunden hat. Ein perfektes Spiel war das 2:0 beim FC Bayern. Da hat die Borussia die beiden Viererketten extrem gut verschoben, die Räume total eng gemacht - ein perfektes Spiel und ein Wahnsinn, wie wenige Torchancen Gladbach in München zugelassen hat.

Frage: Sind das Perfektionieren eines Spielsystems oder der Wechsel von Spielsystemen ein Garant für Erfolg?

Antwort: Es kommt auf einen Mix von Vielem an, wie zum Beispiel Rhythmuswechsel. Der Gegner darf nie wissen, was man macht: Ob man mal eine Viertelstunde aus einer gut organisierten Abwehr spielt oder eine Viertelstunde vorn voll draufgeht, so das mehr Variabilität und Überraschungsmomente reinkommen.

Frage: Und warum ist Wolfsburg in dieser Saison so erfolgreich?

Antwort: Wolfsburg spielt vorwiegend das 4-2-3-1-System, wie die Mehrheit der Bundesligaclubs - und sie haben die Spieler dazu. Wolfsburg hat einen herausragenden Kader um Kevin De Bruyne. Mit dem Personal kommen sie hinter Bayern München, ein Verdienst von Klaus Allofs. Taktisch ist im Spiel des VfL eine gute Mischung zu erkennen, und sie können hervorragend offensiv und defensiv umschalten. VfL-Trainer Dieter Hecking ist voll auf der Höhe der Zeit.

Frage: Worauf wird es in Zukunft in der Weltmeister-Liga ankommen?

Antwort: Auf noch mehr taktische Flexibilität in der Spielauffassung und bei den Spielsystemen. Mein Credo ist: Die Spielauffassung, also wo ich presse, wie und wo ich umschalte, wie viele Spieler ich anlaufen lasse, ist wichtiger als ein genaues Spielsystem. Es wird auf Kreativität ankommen, darauf, nicht berechenbar zu sein und den Gegnern Aufgaben zu stellen, bei denen sie nicht so schnell Lösungen finden. Zum Beispiel, dass ein offensiver Außenbahnspieler plötzlich mal auf die andere Seite läuft und dort vier, fünf Minuten spielt: Was macht der Gegner dann mit einem Mann mehr in diesem Raum?

Frage: Diese Variabilität war in dieser Saison schon oft erkennbar.

Antwort: Wir haben von der taktischen Flexibilität schon in der letzten Triple-Saison des FC Bayern einiges zu beobachten gehabt. Doch es hat mit neuen Ideen 2014/15 etwas Fahrt aufgenommen.

sid

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