„Sie konfrontieren mich mit völlig falschen Zahlen“
Turbulenter TV-Streit: Doch mehr Geimpfte auf Intensiv? Weidel sorgt mit Aussage für Unruhe
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AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hält nicht nur die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie für überzogen und lehnt eine Impfpflicht ab, sondern sorgt mit sehr gewagten Aussagen in Bezug auf Corona sowie Empfehlungen von Ärzten und Experten immer wieder für Zündstoff. Weidel behauptete nun in einem kuriosen TV-Interview, dass auf Intensivstationen häufiger Geimpfte lägen als Ungeimpfte.
Berlin – „Die AfD-Fraktion wird sich gegen jede Impfpflicht stellen“, hatte Alice Weidel (AfD) Anfang Dezember getwittert. Eigenen Angaben zufolge hat sich Weidel auch nicht noch einmal mit Corona infiziert. „Falscher Alarm: Das Ergebnis meines zweiten PCR-Tests ist erfreulicherweise negativ“, schrieb sie am vergangenen Freitagnachmittag (10. Dezember) bei Twitter.
Einige Stunden vorher hatte die 42-Jährige getwittert: „Wegen eines positiven Corona-Tests konnte ich heute leider nicht an der wichtigen Abstimmung im Bundestag teilnehmen. Ich werde noch heute einen zweiten Test zur Überprüfung abgeben.“ Nach Angaben ihres Sprechers war sie am vergangenen Donnerstag (9. Dezember) im Bundestag getestet worden. Sie habe keine Symptome.
Weidel hatte sich nach eigener Aussage bereits mit dem Coronavirus infiziert. Vor einem Monat hatte sie sich in häusliche Quarantäne begeben, nachdem sie laut ihrem Sprecher zuvor „grippeähnliche Symptome“ festgestellt und sich einem Test unterzogen hatte.
Causa Kimmich als Vorbild – nicht für Weidel
Anders wie im Fall Kimmich hat Weidel beim Thema „Impfung“ trotz Infektion weiterhin die selbe Meinung. Kimmich musste als ungeimpfte Kontaktperson zuletzt zweimal in Quarantäne. Nach einer anschließenden Infektion mit dem Virus verzögert sich aktuell sein Comeback beim deutschen Meister wegen Lungenproblemen nach der Covid-Erkrankung. Der 26-jährige Kimmich hatte am Sonntag in einem ZDF-Interview angekündigt, sich nun doch impfen lassen zu wollen. „Vielleicht musste ich auch erst das durchleben, was ich jetzt durchlebt habe. Natürlich, rückblickend gesehen, würde ich gerne die Entscheidung des Impfens früher treffen, aber zum damaligen Zeitpunkt war es mir eben nicht möglich.“
Viele Experten und Intensivmediziner sprechen sich seit Wochen für eine Impfung aus und halten auch eine Impfpflicht als unabdinglich. Vor allem, weil die Impfung die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs und eines möglichen Krankenhausaufenthalts deutlich reduziert.
Streit im TV: Weidels Aussage über Intensiv-Belegung
Doch selbst von offiziellen Zahlen will Weidel offenbar nichts wissen. In einem TV-Interview hat sie sich diesbezüglich in ein turbulentes Wortgefecht verstrickt. Die AfD-Fraktionsvorsitzende geriet mit ihrer Aussage über vermeintlich mehr Geimpfte als Ungeimpfte auf deutschen Intensivstationen ins Kreuzfeuer der Kritik. Nach ihrem Gespräch mit dem Fernsehsender Phoenix trendete jüngst auf Twitter der Hashtag #WeidelLuegt.
In dem Interview unter anderem über die Corona-Pandemie sagte Weidel am vergangenen Mittwoch (8. Dezember) auf die Aussage des Journalisten, in den Krankenhäusern müssten überwiegend Ungeimpfte intensivmedizinisch behandelt werden: „Das stimmt nicht (...) Sie konfrontieren mich mit völlig falschen Zahlen.“ Als Quelle nennt sie dabei angebliche Daten des Statistischen Bundesamtes.
„Wo haben Sie Ihre Zahlen her?“
— Nicolas Lembeck 🇪🇺 (@NicolasLembeck) December 8, 2021
Danke @ErhardScherfer fürs Dranbleiben an den kruden #NoAfD Verschwörungsmythen. #Kanzlerwahl @phoenix_de pic.twitter.com/k0wHDh02gz
Das Statistische Bundesamt (Destatis) reagierte schnell auf Weidels Behauptung – und wies diese von sich: „Bei uns gibt es keine Daten zum Impfstatus von Intensivpatientinnen und -patienten“, hieß es auf Twitter in Richtung der AfD-Politikerin. Von der Behörde konnte sie ihre angeblichen Zahlen also nicht haben.
Du weißt, dass du verloren hast, wenn du vom Statistischen Bundesamt per Druko rasiert wirst https://t.co/vYdaCoxRvZ
— Marius Mestermann (@DerMestermann) December 8, 2021
Eine konkrete Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, auf welche Destatis-Daten sie sich beziehe, ließ die AfD-Politikerin unbeantwortet. Vielmehr schrieb ihr Büro per Mail: „Fakt ist, dass valide offizielle Zahlen nirgends vorliegen.“ Zugleich allerdings verwies der Pressesprecher auf die regelmäßig veröffentlichten Daten des Robert Koch-Instituts (RKI).
Wie ist die Lage auf den Intensivstationen wirklich?
Und die RKI-Angaben zu geimpften und ungeimpften Corona-Fällen auf Intensivstationen zeigen klar: Nach RKI-Angaben mussten im November (8. November bis 5. Dezember) in allen untersuchten Altersgruppen weniger geimpfte als ungeimpfte Covid-Fälle dort behandelt werden.
Demnach waren unter den 18- bis 59-Jährigen von 626 Corona-Patienten 105 vollständig geimpft. Bei den Menschen ab 60 Jahren waren es 480 von 1168 Fällen. Alle anderen waren ungeimpft. Diese Daten erhebt das RKI nur bei den Fällen, bei denen aus den übermittelten Angaben hervorgeht, dass die Patienten entweder vollständig geimpft oder ungeimpft waren.
Mit Blick auf den Anteil der Impfdurchbrüche in den höheren Altersgruppen wurde in letzter Zeit teilweise behauptet, eine Impfung nutze nichts. Doch das ist erstens wissenschaftlich widerlegt und zweitens schon statistisch nicht richtig. Denn besonders bei älteren Menschen ist die Impfrate höher im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Statistisch gesehen bedeutet das: Je mehr Personen geimpft sind, umso mehr Impfdurchbrüche sind zu beobachten.
Das heißt bezüglich der RKI-Daten: Während im November auf Intensivstationen 44,5 Prozent der Corona-Patienten ab 60 Jahren geimpft waren, hatten in dieser Altersgruppe insgesamt 87,9 Prozent vollständigen Impfschutz. Bei den 18- bis 59-Jährigen waren in der Gesamtbevölkerung 75,5 Prozent vollständig geimpft, auf Intensivstationen 15,7 Prozent.
Das RKI hat aufgrund genau dieser Angaben methodisch geschätzt, dass eine Impfung bei Patienten 60 plus zu mehr als 85 Prozent davor bewahre, intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen. Bei den 18- bis 59-Jährigen lag dieser Impfschutz bei mehr als 90 Prozent.
Lest dazu: „Pandemie der Ungeimpften“: Tatsächliche Lage in den Kliniken oder unbegründete Hetze?
Und dieser Trend ist auch nicht nur speziell für Intensivstationen gültig, sondern genauso für Krankenhauseinweisungen und symptomatische Corona-Fälle allgemein. Zum Beispiel schützte nach methodischer RKI-Schätzung eine Impfung bei Erwachsenen um circa 66 Prozent davor, an Covid-19 zu erkranken und Symptome zu entwickeln. Bei Jugendlichen lag dieser Wert im November bei etwa 90 Prozent.
Weidels Pressesprecher versucht zu relativieren
Obwohl sich das Phoenix-Interview klar um die Corona-Pandemie und Covid-Patienten drehte, argumentierte Weidels Pressesprecher später gegenüber der Deutschen Presse-Agentur mit der Gesamtzahl der Menschen auf Intensivstationen: „In jedem Fall sind es nicht Covid-Patienten, egal ob geimpft oder ungeimpft, die die Mehrzahl der Betten auf den Intensivstationen belegen.“
Klar ist, dass auch Menschen nach Herzinfarkten oder schweren Autounfällen eine intensivmedizinische Betreuung brauchen. Nach Angaben des „Intensivregisters“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) waren am Mittwoch (15.Dezember) von den deutschlandweit knapp 20.000 Intensivbetten 4788 mit Covid-Patienten belegt.
Kritik am Staat
Die AfD trägt seit Pandemiebeginn mit teils falschen Aussagen zur Missstimmung in der Bevölkerung bei. Für manche ist die Verweigerung der Impfung ein Zeichen des Misstrauens gegenüber dem Staat. „Die Menschen im Alpenraum waren und sind besonders kritisch gegenüber staatlichen Obrigkeiten“, sagt Religionswissenschaftler Blume. Verstärkt werde dies dadurch, dass Parteien wie die AfD die Impfung als Protestthema für sich entdeckt hätten, sagt der Seniorprofessor für Soziologie an der Universität Leipzig, Andreas Diekmann. „Da haben sich bestimmte Milieus und der organisierte Rechtspopulismus der AfD gegenseitig gefunden. Beide beeinflussen und befeuern sich wechselseitig“, erklärte Raj Kollmorgen, Soziologieprofessor an der Hochschule Zittau/Görlitz.
Zwei von drei ungeimpften Wählerinnen und Wählern in Deutschland geben ihre Stimme laut einer Umfrage des Forsa-Instituts Parteien des rechten politischen Spektrums. Die Hälfte der 3048 Befragten hat demnach bei der diesjährigen Bundestagswahl die AfD gewählt. Unter Ungeimpften wäre der Stimmenanteil der in Teilen rechtsextremen Partei damit fast fünfmal so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.
mz/dpa