Tiefer Riss in der Partei: GroKo spaltet die Münchner SPD

Soll die SPD eine Große Koalition eingehen? Diese Frage entzweit auch die Münchner Sozialdemokraten. Beim Jahresparteitag wurde ein tiefer Riss deutlich. Ein Antrag der Jusos gegen die Groko wurde knapp abgelehnt.
München - Neben dem Rednerpult ist an diesem Samstag wie gehabt das Wahlplakat der Sozialdemokraten positioniert. Darauf zu lesen: „SPD - Die München Partei“. Das politische Gesicht der Stadt prägt der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter. An Neumitgliedern haben die Sozis einen Zulauf wie selten zuvor: 753 waren es im vergangenen Jahr.
Doch die scheinbar heile Welt der Münchner Sozialdemokraten wird bitter kontrastiert durch die jüngsten Wahlergebnisse. Mit einem Stimmenanteil von 16,2 Prozent ereilte die SPD bei der Bundestagswahl ein Desaster, die Partei wurde sogar von den Grünen überflügelt. Ist die SPD wirklich noch die München-Partei? Oder ist sie es nur, weil sie große Oberbürgermeister hatte?
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Juso fordern „inhaltlich klare und glaubwürdige SPD“
An diesem Samstag zur Mittagszeit beginnt im Gewerkschaftshaus an der Schwanthalerstraße eine Marathondebatte. Thema: Welche Schlüsse müssen aus der krachenden Wahlniederlage gezogen werden? Und soll sich die SPD einer erneuten Großen Koalition verweigern? Diesen Dringlichkeitsantrag stellen die Jusos. Ihr Ansinnen: „Für eine inhaltlich klare und glaubwürdige SPD.“
Zahlreiche Jusos treten ans Mikrofon. Sie sind gut organisiert. Carmen Wegge, Vorstandsmitglied der Jungsozialisten, formuliert stellvertretend den Antrag. Sie sagt: „Aus München heraus verändert man zwar nicht die Welt, aber wir können ein Signal nach Berlin gegen die GroKo senden.“ Der Antrag habe „nichts mit Krawall“ zu tun. Doch die Frage sei, ob mit der Union überhaupt noch irgendwelche sozialdemokratische Kerninhalte umsetzbar seien. In der Großen Koalition werde „jede linke Idee einfach verkompromisst“, sagt Wegge. Neuwahlen oder eine Minderheitsregierung könnten hingegen eine Chance sein. „Wenn wir dazu bereit sind.“

Redner stellen fest: SPD mangelt es an Profil
In der Folge entwickelt sich eine emotionale Debatte. Mehr als 30 Redner ergreifen das Wort. Eigentlich ist man sich in der Analyse des Wahldesasters einig: Die SPD habe kein Profil mehr. Sie werde nicht mehr als Partei der Arbeit und der Gerechtigkeit wahrgenommen. Es fehle am klaren Kurs. Auch die Schlüsse daraus sind relativ eindeutig: Es bedarf eines großen Reformprozesses. Bloß wie? In der Großen Koalition? Nein danke, sagen viele.
Andere wie der SPD-Fraktionschef im Stadtrat, Alexander Reissl, meinen, das Eine schließe das Andere nicht aus. Sich grundsätzlich Gesprächen zu einer GroKo zu verweigern, sei der falsche Weg. Reissl, der sich mit der SPD im Rathaus in einer Großen Koalition mit der CSU im Bunde sieht, wähnt seine Partei in einer fatalen Lage: „Die große Mehrheit der Arbeitenden wählt uns nicht mehr, weil sie uns nicht mehr verstehen.“ Reissl ist einer der letzten Redner nach stundenlanger Debatte. Einige Jusos werden ungeduldig. Sie drängen zur Abstimmung, stören Reissl mit Zwischenrufen. Die Diskussion droht zu entgleisen, Reissl blafft die Störer an, in ihm brodelt es offensichtlich. Aber die Lage eskaliert nicht.
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Bürgermeisterin Strobl hin- und hergerissen
Manche wie Bürgermeisterin Christine Strobl sind hin- und hergerissen. Die SPD befinde sich auf einer Gratwanderung „zwischen Visionen und Pragmatismus“. Das Dilemma der Partei: „Es gibt nie die eine Antwort“, so Strobl. Gespräche zur Bildung einer GroKo müsse man führen. „Wenn aber bei den Verhandlungen Dinge wie eine gerechte Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitik nicht zum Tragen kommen, können wir die Ablehnung auch erklären.“
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Sympathie für den Jusos-Antrag bekunden etwa der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn, der Bundestagskandidat im Münchner Osten, Sebastian Roloff, oder Münchens Parteivize Roland Fischer. Die Bundestagsabgeordnete und Parteichefin Claudia Tausend meint: „Keine Gesprächsverweigerung, aber auch kein Automatismus einer Regierungsbeteiligung.“ Der Reiz von Neuwahlen sei „begrenzt“. Was München betreffe, habe die SPD mit OB Dieter Reiter „einen einzigartigen Trumpf“.
Der Vielgelobte kann zur Diskussion nichts beitragen. Der OB ist aus terminlichen Gründen verhindert. Reiter hatte sich aber schon vor dem Parteitag gegen Neuwahlen und für eine rasche Regierungsbildung ausgesprochen. Der Bundestagsabgeordnete Florian Post überrascht unterdessen mit seinem Plädoyer für eine Minderheitsregierung. Damit vertritt er aber auf dem Parteitag eine Minderheitsmeinung. Vor der Generaldebatte hatte Dierk Hirschel, Verdi-Bereichsleiter für Wirtschaftspolitik, in seinem Referat der SPD zu einem klaren linken Profil geraten. Zur drängendsten Frage sagte auch er: „Ja zu Gesprächen über eine GroKo, Nein zum Regieren um jeden Preis.“
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Klaus Vick