SPD hofft auf frischen Wind
Interview mit Parteienforscher: Wie stehen die Chancen für Schulz?
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Dieser Paukenschlag hat nicht nur die SPD durchgerüttelt: Martin Schulz, bisher Präsident des Europaparlaments, wird Kanzlerkandidat und SPD-Chef. Im Interview analysiert ein Experte seine Chancen.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich noch nicht zu ihrem neuen Kontrahenten geäußert – CSU-Chef Horst Seehofer warnt, es werde für die Union „keineswegs leichter“. Seehofer: „Eigentore dürfen keine passieren, jetzt noch weniger.“ Schulz ist der Lieblings-Sozi der Deutschen und liegt in Umfragen zur Beliebtheit gleichauf mit der Kanzlerin. Muss Merkel also um ihre vierte Amtszeit zittern? Die tz spricht darüber mit dem Mainzer Parteienforscher Prof. Jürgen Falter:
Was hat Schulz, was Gabriel nicht hat?
Prof. Jürgen Falter: Zunächst einmal liegt das in seiner Persönlichkeit und seinem Auftreten. Schulz kann auf
andere zugehen und auch mal jemandem auf die Schulter klopfen, ohne dass man es ihm übel nimmt. Er menschelt – während Gabriel manchmal geradezu fremdelt. Das ist ein großer Vorteil im Wahlkampf, denn es kommt authentisch und positiv rüber.
Falter: Diese persönliche Beliebtheit kann sich natürlich auch bei Schulz abnutzen. Sie nimmt oft dann ab, wenn man zu bestimmten Dingen Stellung nehmen muss – das wird Schulz nicht erspart bleiben. Er muss sich jetzt zu Themen äußern, zu denen er bisher nichts sagen musste. Damit wird er automatisch Menschen verärgern und die Beliebtheitswerte bröckeln. Ob er das auffangen kann, ist zumindest fraglich.
Falter: Er hat ein sehr herausgehobenes europäisches Amt so vertreten, dass er sehr präsent war. Es ist eine große Leistung von ihm, dass er das europäische Parlament dermaßen in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt hat. Außerdem hat Europa durch ihn weniger technokratisch gewirkt. So ist Schulz mit etwas Positivem verbunden worden.
Falter: Ja, allerdings kann er gegenüber Angela Merkel trotz aller außenpolitischen Erfahrung allerhöchstens gleichziehen – und in anderen Politikfeldern muss er das erst noch beweisen.
Falter: In der Öffentlichkeit hat er zur Steuerpolitik oder zur Gesundheitspolitik noch keine Stellung bezogen. Nach allem was man so rauslesen kann, ist er pragmatischer Sozialdemokrat, ein typischer Lokalpolitiker. Insofern würde ich ihn eher zum konservativen Flügel der SPD rechnen. Das wirft natürlich ein Glaubwürdigkeitsproblem auf, wenn er als Kandidat für eine rot-rot-grüne Koalition stehen soll, inhaltlich aber ganz anders gelagert ist. Dann könnte es ihm so ergehen wie einst Peer Steinbrück, der als Kandidat linkere Aussagen tätigen musste, als er es in den Jahren zuvor getan hatte.
Falter: Derzeit fehlen Rot-Rot-Grün fast zehn Prozent. Ob er in der Lage ist, das aufzuholen – zumal bei einer stärker werdenden AfD – ist zumindest ungewiss, wenn nicht gar fraglich.
Falter: Das ist Fluch und Segen zugleich. Er kann nicht im Bundestag reden, er wird nicht so häufig sichtbar sein, wie es ihm lieb wäre. Die positive Wirkung eines Amtes kann nicht auf ihn abstrahlen. Andererseits hat er mehr Zeit, in den Wahlkampf zu gehen und ist an keinerlei Kabinettsrücksichten gebunden.
Im Video: So stehen Schulz‘ Chancen gegen Merkel
Falter: Vor allem bei Wählern der Mitte. Dort liegen die Mehrheiten. Ich halte ihn für einen guten Wahlkämpfer: Er ist formulierungsstark und gebildet – obwohl man letzteres vor manchem Wähler besser verbirgt. Es wird ihm aber helfen, sich in die unterschiedlichsten Themeneinzuarbeiten. Kanzler müssen ja Generalisten sein und nicht Spezialisten.
Falter: Schulz kann für die Union schon ein unangenehmer Gegner werden – zittern muss sie aber noch nicht.
Interview: Marc Kniepkamp
SPD: Aufstand in Bayern
Im Windschatten des SPD-Bebens im Bund gerät auch Bayerns SPD in unruhiges Fahrwasser. Führende Genossen fordern die
Ablösung des Vorstands rund um Landeschef Florian Pronold
. Unter ihm ist die SPD im Freistaat auf 14 Prozent in Umfragen abgesackt. Horst Lischka, SPD-Stadtrat und Bevollmächtigter der IG Metall München, sagt – ohne Pronolds Namen zu nennen: „Ich würde mich freuen, wenn es diesen Ruck wie in Berlin auch in Bayern geben würde. Ich erwarte mir vom Parteivorstand personelle Alternativen.“ Er könne sich sehr gut Kommunalpolitiker als künftige Landeschefs und Spitzenkandidaten vorstellen und nennt die Oberbürgermeister Ulrich Maly (Nürnberg), Thomas Jung (Fürth) oder Jürgen Dupper (Passau). „Man wird ein Team brauchen, das die Bayern-SPD aus ihrer Lethargie weckt.“
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