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„Es wird definitiv zu einer Unterversorgung kommen“- So drastisch steht es um die Pflege in der Region

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Von: Melanie Fischer

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So klappt die Familienpflegezeit
Der Pflegenotstand spitzt sich auch in der Region zu. © Oliver Berg/dpa/dpa-tmn

Fachkräftemangel, Unterfinanzierung, explodierende Kosten. Die Pflege steht auch im Berchtesgadener Land vor großen Aufgaben. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Pflegeeinrichtungen sind in Piding zusammengekommen, um das Thema zu diskutieren. Dabei wurde deutlich, wie dringend der Bedarf an Pflegekräften und auch an Geld in der Region ist.

Piding – Rund 45 Menschen füllten am Freitag (17. Februar) den Saal des Seniorenhauses Vivaldo St. Laurentius und diskutierten über eine verlässliche Pflegeversorgung im ländlichen Raum. Als Redner trat Bertram Brossardt auf, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw). „Aufgrund der demografischen Entwicklung werden Pflege- und Senioreneinrichtungen immer wichtiger, da die Zahl der Pflegebedürftigen zunehmen wird. Nach Prognosen für Bayern steigt diese von derzeit über 500.000 auf bis zu einer Million Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2050. Auch in Zukunft muss ein hohes Versorgungsniveau garantiert sein. Eine wohnortnahe Versorgung verhindert, dass Beschäftigte wegen der Pflege Angehöriger ausfallen und sich so Fachkräfteengpässe weiter verschärfen“, sagte Brossardt.

Zum einen müsse man dafür sorgen, dass der wachsende Bedarf an Fachkräften gedeckt sei. „Wir werden nicht ohne Fachkräfte aus dem Ausland auskommen.“ Zum anderen müsse das Ganze aber finanzierbar bleiben. Brossardt sprach sich hierbei für den Ausbau der kapitaldeckenden Pflegevorsorge aus: „Die wachsenden Finanzierungslücken können nicht weiter aus Steuermitteln des Bundes gegenfinanziert werden.“

Großer Notstand bei den Pflegediensten

Kai Kasri, Geschäftsführer von Vivaldi, legte den Focus auf die Region: „Der ländliche Raum wird nicht genug verhandelt. Hier gibt es viel längere Fahrtwege. Für kleine Träger ist es meist ein viel größerer Aufwand.“ Tobias Kurz vom Bayerischen Roten Kreuz schlug Alarm: „Wir machen 130.000 Hausbesuche im Jahr. Das Problem sind die Personalkosten für die Fahrten. Die Verhandlungen finden nicht auf Augenhöhe statt. Manche Touren können wir nicht mehr machen, das geht nur noch mit Spenden. Es wird definitiv zu einer Unterversorgung in den ländlichen Regionen kommen.“ Andrea Schnurrer ist die Leiterin des Caritas-Altenheims Felicitas in Bischofswiesen. Sie mahnte: „Der ambulante Pflegedienst wäre ohne Zuschüsse pleite. Wir haben große Not. Bis 2030 können wir ein Drittel unserer Stellen nicht mehr besetzen.“

Teilnehmer der Diskussion um Pflege in Piding
Die Teilnehmer der Diskussion von links: Andrea Schnurrer (Caritas), Georg Wetzelsperger (Bezirksrat), Kai Kasri (Vivaldi), Bertram Brossardt (vbw) und Dr. Bernhard Opolony (Bayerisches Gesundheitsministerium) © Melanie Fischer

Wie lässt sich der Pflegeberuf attraktiver gestalten?

Dass der Beruf inzwischen für viele wenig attraktiv ist, liegt laut Dieter Schroll von der Lebenshilfe BGL vor allem an seinem schlechten Image. Presse und Politik hätten vor allem Schuld daran. „Da müsste mal ein Maulkorb verpasst werden. Was kann man denn tun, um aus dieser Negativspirale herauszukommen?“

Dr. Bernhard Opolny, Leiter der Abteilung Pflege im Bayerischen Gesundheitsministerium entgegnete, dass es sich bei der Pflege um einen Gesundheitsfachberuf handle und man diesen als solchen mithilfe einer Kampagne etablieren müsse. Er gab aber auch kritisch zurück: „Wie redet die Pflege über sich selbst?“ Um mehr Personal zu rekrutieren, schlug Schnurrer ein Pflichtjahr im Pflegebereich für alle jungen Menschen vor. „Ich selbst bin über ein soziales Jahr dazu gekommen.“

An welcher Stelle wird das Problem angegangen?

In der Diskussion wurde schnell klar, dass der schwarze Peter gerne von einer Institution zur nächsten geschoben wird. Zum einen solle das Problem von der Basis aus angegangen werden, zum anderen sei die Politik „ganz oben“ gefragt: „Das muss zur Chefsache werden“, meinte Kurt Schmoll, Leiter zweier Pflegeheime im Landkreis Traunstein. „Seit 25 Jahren passiert nichts. Jeder schiebt die Verantwortung auf den anderen. Herr Söder und seine Minister und auch Herr Scholz müssen sich darum kümmern.“

Vivaldo-Chef Kasri freute sich über die Zusammenarbeit im Landkreis. „Das Berchtesgadener Land ist vorbildlich in der Einstellung. Wir sind da schon super aufgestellt. Aber die Strukturen werden nicht nachgezogen. Der Freistaat Bayern hat die Zeichen der Zeit erkannt. Das Modellprojekt zur Einrichtung von Springerpools kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Pflegekräfte zu entlasten und die Arbeitszufriedenheit zu steigern. So können wir erfahrene Kräfte im Beruf halten und steigern gleichzeitig die Attraktivität des Pflegeberufs für Neu- und Quereinsteiger.“

Auch Landrat Kern lobte die Vernetzung innerhalb des Landkreises und auch mit dem Landkreis Traunstein. „Wir werden uns jetzt kompakt an die Politik wenden, und zwar an Herrn Holetschek und sein Ministerium. Mit den Strukturanpassungen der Kliniken sind wir im Berchtesgadener Land auf einem guten Weg. Aber wir brauchen auch Köpfe, die sich auskennen: In der Pflege, in den Wohnheimen und bei der Behindertenarbeit.“

„Man muss da anfangen, wo man etwas bewegen kann“, betonte Bezirksrat Georg Wetzelsperger. „Die Hilfen müssen zu den Menschen kommen. Aber wir hängen natürlich an der Gesetzgebung. Es reicht nicht, wenn nur der Beitrag steigt. Wir müssen die Strukturen aufbrechen. Außerdem sind wir abhängig vom Verhandlungswillen der Kassen.“ Vbw-Chef Brossardt versicherte zum Schluss: „Ich werde versuchen, mit dem bayerischen Gesundheitsminister etwas auf die Reihe zu bringen.“

mf

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