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Personal Trainer für Menschen mit Behinderung: „Sind vom Inklusionsgedanke weit entfernt“

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Von: Christina Eisenberger

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Personal Trainer für Menschen mit Behinderung ll Training Luciano Lerose Piding
Vom Kfz-Mechatroniker zum Personal Trainer für Menschen mit Behinderung - Luciano Lerose im Interview: „Der Sport hat mich zum Positiven verändert. Ich dachte mir, dass ich das auch mit den Menschen schaffe, dass sie durch Sport selbstbewusster werden.“ © Brand Raptor Productions/ll-Training (Collage)

Luciano Lerose ist nicht nur Sozialbetreuer, sondern auch medizinischer Trainer. Der sportliche Pidinger bietet Personal Training für Menschen mit Behinderung an. Im Interview spricht Luciano über seinen besonderen Job, seine Erfolgserlebnisse und warum der Inklusionsgedanke immer noch nicht gelebt wird.

Piding - Aktuell betreut Luciano Lerose zwei Firmen mit Firmenfitness und eben Menschen mit Behinderung. „Ich bin zwei Mal die Woche in den Pidinger Werkstätten. Dazu kommen noch drei, vier Privatkunden, die ich rund 12 Wochen betreue, damit die regelmäßig Sport machen“, so Lerose im Interview mit BGLand24.de.

Luciano, wie läuft eine Stunde Personal Training für Menschen mit Behinderung bei Dir ab?

Wenn ich die Person noch nicht kenne, spreche ich erst einmal mit den Betreuern oder den Eltern, je nachdem, ob das Kind oder der Erwachsene daheim lebt oder in einer Einrichtung. Bei dem ersten Gespräch ohne Sport schauen wir, ob die Chemie passt. In der zweiten Einheit machen wir schon die Sportstunde.

Je nachdem ob es eine körperliche oder geistige Beeinträchtigung ist, werden die Übungen angepasst. Ich habe erst mit einem Kind aus Traunstein trainiert, das halbseitig gelähmt war. Das Ziel war, die andere Seite mit Übungen zu stärken. Zum Beispiel einen Ball zuwerfen, auf einem Balanceboard balancieren oder verschiedene Gleichgewichtsübungen. Es ist kein klassisches Fitnesstraining mit Gewichten oder mit Kraft, sondern eher ein neuronales Training. Bei dem Kind stand im Vordergrund, dass die Nerven vom Gehirn zu den Muskeln und die Reflexe trainiert werden.

In Piding habe ich einen Klienten, der möchte ganz klassisch Muskeln aufbauen. Der möchte dicke Oberarme und große Schultern. Da machen wir Übungen mit der Hantel, Liegestützen oder Rückenübungen. Das macht ihm Spaß. Das primäre Ziel ist eigentlich nicht der Muskelaufbau, sondern dass sich seine Persönlichkeit besser entwickelt. Er also einen stärkeren Willen kriegt, Durchhaltevermögen zeigt und auch Übungen macht, die ihm nicht so Spaß machen - und das dann auch in den Alltag überträgt. Wenn er zum Beispiel in der Werkstatt Aufgaben bekommt, die er nicht mag, trotzdem macht. 

So ist das Training immer ganz individuell, je nach dem Wunsch und dem Ziel des Klienten. Und immer mit ein bisschen Pädagogik, damit die Entwicklung der Person auch noch einmal nach vorne geht. 

Das klingt, als würdest Du dich sehr auf deine Kunden einlassen. Baust Du dabei mit deinen Klienten auch eine persönliche Beziehung auf?

Ich habe in den 10 Jahren, in denen ich mit Menschen mit Behinderung arbeite, gelernt, dass sehr viel über die Beziehungsebene läuft. Auch allgemein im Leben kann man zu einem Menschen nicht richtig durchdringen, wenn man keine Beziehung aufbaut. Bei Menschen mit Behinderung ist es ganz wichtig, dass man sich auf sie einlässt, etwa die gleichen Hobbies teilt oder diese anspricht. Wenn einer sehr gern über Filme, Autos oder Sport redet, steigt man da ein und baut darüber eine Beziehung auf. Dann öffnen sie sich und vertrauen dir leichter. 

Persönlich heißt oft auch emotional. Kann man dabei zwischen Privatem und Arbeit eine Trennlinie ziehen?

Wenn ein Kind oder ein Erwachsener schon sehr viel durchgemacht hat, ist das schon schwerer, dass man nichts mit heim nimmt. Aber mir gelingt es eigentlich ganz gut, dass ich das trenne. Das eine ist Arbeit, das andere ist einfach Privat. Viele sagen immer zu mir, ‘das was du machst, könnte ich nie, das würde mich runter ziehen’. Viele denken, dass Leute, die im Rollstuhl sitzen, eigentlich immer traurig oder unglücklich sind. Wenn man mit ihnen arbeitet, sieht man, wie sie lachen und Spaß haben. Das ist ein cooles Gefühl, wenn es ihnen gut geht. Es ist ja nicht so, dass es den Leuten schlecht geht, wenn sie nicht reden oder essen können und über eine Sonde ernährt werden. Für die ist etwas schon Lebensqualität, was wir eigentlich gar nicht wahrnehmen. Wie die Hand mit einem Igelball ausstreichen und Körperwahrnehmungen machen. Das merkt man schnell. Sie sind wacher und einfach da. Und wenn man sich das vor Augen hält, dann fällt es auch leichter, sich nichts mit heimzunehmen.

Das Arbeiten mit Menschen mit Behinderung scheint auch ein persönliches Erfolgserlebnis zu sein?

Ja. Auf alle Fälle. In diesem Bereich gibt es recht schnell Erfolge. Wenn ein Kind nicht richtig mit Messer und Gabel essen kann und am Ende vom Schuljahr kann es mithilfe verschiedener Methoden und Maßnahmen mit Besteck essen, dann ist das ein cooles Erlebnis. Die Kinder oder Erwachsenen zeigen dann auch, dass sie das jetzt können und zelebrieren das: Hey, schau, ich kann jetzt allein essen oder allein die Schuhe anziehen.

Ist Dir bei deiner Arbeit ein Klient besonders in Erinnerung geblieben?

Einer ist mir in Erinnerung geblieben, weil der am Anfang von der Persönlichkeit her sehr zurückhaltend und introvertiert war. Er war sehr verschlossen und wollte zuerst gar nicht. Ich habe dann gemerkt, dass er durch das Training immer mehr aus sich herauskommen ist. Er ist aufgetaut, hat sich mehr zugetraut. Er hat dann gemerkt, dass er Sachen schafft, die er vorher nie geschafft hat. Das war eigentlich so das coolste was ich gesehen habe, weil man die Veränderung so sehr wahrgenommen hat. 

Während bei Dir der Kontakt zu Menschen mit Behinderung zu deinem Alltag dazugehört, scheint es für viele in der Bevölkerung schwierig zu sein, mit Menschen mit Behinderung umzugehen.

Das sehe ich oft, wenn ich unterwegs bin. Ich sehe einen Menschen mit Behinderung, wie der von anderen angesehen und wahrgenommen wird. Das ist immer noch ein Tabuthema. Der Inklusionsgedanke, von dem immer jeder redet, ist noch nicht da. Da sind wir ziemlich weit entfernt, wenn keiner eigentlich weiß, wie er dem Menschen da begegnen soll. Dabei ist es ganz einfach, indem man ihm begegnet wie jedem anderen Menschen halt auch. Aber viele meinen halt, der ist behindert, den muss man - im positiven Sinne - anders behandeln. Und dann wissen sie nicht wie und dann sagen sie lieber gar nichts. 

Wie bist Du eigentlich dazu gekommen, Personal Training für Menschen mit Behinderung anzubieten?

Das war ein sehr persönlicher Grund. Ich habe eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker gelernt, aber schnell gemerkt, dass der Beruf mir überhaupt keinen Spaß macht. Ich hatte keine Freude, habe viele Fehler gemacht und viel Ärger vom Chef bekommen. Ich habe dann die Ausbildung durchgezogen und ein Jahr als Geselle gearbeitet, aber da ist es auch nicht besser geworden. Schon damals wollte ich viel lieber was mit Menschen machen und gerne anderen Leuten helfen. Zur gleichen Zeit habe ich angefangen, Sport als Ausgleich zu machen. Dadurch bin ich viel selbstbewusster geworden. Ich habe Oberarme und Schultern bekommen, mich anders wahrgenommen und mir mehr zugetraut. 

Ich habe in Hohenfried, Bayerisch Gmain eine neue Ausbildung zum Diplom- und Sozialbetreuer begonnen und gleich gemerkt, dass mir der Beruf viel mehr Spaß macht. Schon da wollte ich den Beruf mit Sport kombinieren, weil ich gemerkt habe, wie mich der Sport zum Positiven verändert. Ich dachte mir, dass ich das dann auch mit den Menschen schaffe, dass sie durch Sport selbstbewusster werden und sich mehr zutrauen. Dadurch ist die Idee entstanden. 

In einer meiner Nachtschichten in Hohenfried ist ein junger Mann auf mich zugekommen. Der hat Down-Syndrom. Die sind alle recht offen und sagen, was sie sich denken. Er hat gesehen, dass ich trainiere, weil ich schon an Muskeln zugelegt hatte und gesagt, er möchte gern so aussehen wie ich, er möchte gerne Muskeln haben und ob ich ihm nicht helfen kann. Da ist die Idee entstanden, dass ich das für Menschen mit Behinderung anbieten kann. Es gibt zwar Fußballgruppen, Wander- und Bastelgruppen, aber reine Fitnessgruppen gibt es nicht. Ich habe dann in München die ganzen Ausbildungen gemacht, die Lizenzen, den medizinischen Trainer und mich 2019 selbstständig gemacht.

Luciano, vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Nach einer dreieinhalbjährigen Ausbildung zum Diplom- und Sozialbetreuer (vergleichbar mit dem Heilerziehungspfleger) in Hohenfried hat Luciano Lerose begonnen, im Heilpädagogischen Zentrum in Piding zu arbeiten.

2019 kam die Selbstständigkeit als Personal Trainer hinzu. Lerose bietet Personal Training für Menschen mit Behinderung, Personal Training und Firmenfitness an. Auch in den Pidinger Werkstätten arbeitet der 30-Jährige als Trainer.

Demnächst wechselt der Pidinger seinen Arbeitgeber und übernimmt eine Führungsposition in einer Einrichtung für Menschen mit psychischer Erkrankung. Auch hier wird Luciano den Sport in der Arbeit integrieren - sowohl für die Mitarbeiter als auch die Patienten.

www.ll-training.de

ce

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