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„Sitzen in den Ämtern“: Ratlosigkeit wegen Arbeitskräftemangel auch bei Wäscherei Abel in Anger

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Von: Kilian Pfeiffer

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Christian und Stefanie Abel in der Großwäscherei in Anger
Christian und Stefanie Abel: 230 Mitarbeiter beschäftigt das Familienunternehmen in der Großwäscherei in Anger. © Kilian Pfeiffer

Saubere Wäsche ist ihr Geschäft: Ob Bayerischer Hof in München, Deutsches Herzzentrum oder die Unfallklinik in Murnau. Die Großwäscherei Abel aus Anger (Landkreis Berchtesgadener Land) versorgt mehr als 60 Kliniken, dutzende Seniorenwohnheime, Freiwillige und Berufsfeuerwehren mit frischer Kleidung. 45 Tonnen Wäsche am Tag, viele Millionen Einzelteile pro Jahr. Der Arbeitskräftemangel bringt das Unternehmen an seine Grenzen. Beim IHK-Regionalauschuss kennt man die besorgniserregenden Zahlen. 

Berchtesgadener Land/Anger - Als die Eltern von Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber eine Heißmangel bekamen, war die heutige Staatsministerin gerade mal zehn Jahre alt. Die Anekdote erzählt sie bei einem Besuch der Wäscherei Abel anlässlich einer Sitzung der Industrie- und Handelskammer Berchtesgadener Land. 

Direkt an der Autobahn A8 gelegen, war der Betrieb während der Corona-Pandemie noch systemrelevant - hochinfektiöse Wäsche wirbelte durch die gewaltigen Maschinen im riesigen Werk. Die Systemrelevanz kann man dem Unternehmen auch heute nicht absprechen, sind es doch rund drei Dutzend Tonnen Krankenhauswäsche, die Tag für Tag gereinigt werden. Die Bettwäsche tausender Betten wird hier desinfizierend aufbereitet. 

Rund 230 Angestellte beschäftigt das Unternehmen. Christian Abel ist der Seniorchef jenes Betriebs, dessen Ursprung in Bad Reichenhall liegt - in den 1960er-Jahren. Damals startete man als kleine Münzwäscherei. Mittlerweile ist der verlagerte Betrieb stark gewachsen und erstreckt sich über tausende Quadratmeter auf einigen Stockwerken, in mehreren Betriebsgebäuden. Für die kleine Gemeinde Anger ist Abel einer der wichtigsten Arbeitgeber. 

Händeringend sucht Christian Abel nach Mitarbeitern in allen Bereichen, daraus macht er keinen Hehl. Er wirkt fast ein wenig verzweifelt. „Mal schauen, wie das weitergeht”, sagt der Leiter des Familienbetriebs. All die Wäsche, die täglich anfällt und quer durch Oberbayern transportiert werden muss, erfordert Lkw-Fahrer. Es fehlt an Nähern, an IT-Systemadministratoren, an Wäschereimitarbeitern. Spätestens seit Corona ist nichts mehr wie früher. Arbeit gibt es aber genug. So viel, dass mancher Auftrag nicht angenommen werden kann. 

Arbeitskräfte
Der Mangel an Arbeitskräften ist auch in der Großwäscherei Abel spürbar. © Kilian Pfeiffer

Arbeitskräftemangel - Wo liegt die Lösung?

Staatsministerin Michaela Kaniber weiß, wie brenzlig es um das Land steht. Allein in Bayern sollen bis zum Jahr 2030 600.000 Menschen in der hiesigen Wirtschaft fehlen. Fünf Jahre später liegt die Zahl bei weit über einer Million Arbeitskräften. Hunderttausende scheiden in den kommenden Jahren aus. Die, die nachkommen, sind zu wenig, um den Mangel zu kompensieren. Hinzu kommt: Die Arbeitenden werden im Durchschnitt deutlich älter: Bis 2035 erhöht sich das Durchschnittsalter in etlichen Branchen um rund zehn Jahre, von Mitte 40 auf 55.

Die IHK-Hochrechnungen sind so ernüchternd, so perspektivlos, dass so manchem Unternehmer angst und bange wird. “Man muss endlich Tacheles reden und handeln”, fordert Werner Schmölzl. Zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland - das scheint für ihn die einzige Lösung für den Arbeitsmarkt zu sein. Schmölzl leitet in Bayerisch Gmain ein großes Bauunternehmen. Er sagt: “70 Jahre lang wurde in diesem Land ein Bürokratismus aufgebaut. Das sind die Arbeitskräfte, die uns in der Wirtschaft abgehen.” Die Entwicklung hin zum Mangel ist keine überraschende. Auf die fehlenden Leute zu reagieren, scheint kaum mehr möglich. “Die Politik hat auf breiter Front versagt”, sagt ein IHK-Mitglied. 

“Im Schulsystem sind Fehler gemacht worden”, sagt auch Staatsministerin Michaela Kaniber. Die Erkenntnis, dass ein Land, in dem das Gymnasium lange Jahre über allem stand, nicht funktionieren kann, kommt spät. “Mehr Wertschätzung für das Handwerk”, fordert Kaniber. 

Doch mit Wertschätzung allein ist es nicht getan. Millionen Arbeitslose werden Monat für Monat in den Statistiken der Arbeitsagentur präsentiert. Liegt die Lösung also nah? So einfach ist es nicht. Die Bürokratie ähmt das System. Kaniber weiß, dass einiges im Argen liegt. “Drei bis vier Tage arbeiten, ein Tag Instagram”, sagt Kaniber und skizziert damit den Wunsch vieler junger Leute, die die Arbeitskräfte der Zukunft bilden. All die Wünsche, Nöte und Herausforderungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ist schwierig.  

“Es ist ein Desaster, was man in diesem Land an bürokratischen Aufwand leisten muss, um Leute anzustellen”, klagt Irene Wagner. Wagner ist die Vorsitzende des IHK-Regionalausschusses im Berchtesgadener Land. “Reden wir doch mal über die vielen Frauen, die nur in Teilzeit arbeiten, nachdem sie Mutter geworden sind.” Wagner, selbst Geschäftsführerin eines Unternehmens in Marktschellenberg, das in der Herstellung hochpräziser Stanz- und Kunststoffspritzgussteile tätig ist, will die Frauen zurück - am besten in Vollzeit. “Wir müssen ihnen Anreize geben”, sagt sie. Auch ein Überdenken des Renteneintrittsalter fordert Irene Wagner.  

Potenzial aus dem Ausland

Auch IHK-Fachkräfte-Experte Tobias König bleibt vage in seinen Ausführungen: Maßnahmen brauche es, Automatisierung und Digitalisierung, ein Umschichten von inländischen Arbeitskräften. Das Potenzial aus dem Ausland sei gewaltig, sagt er. Nichts, was jeder im Raum noch nicht wüsste.

Die jüngste Konjunkturumfrage der IHK für München und Oberbayern hat aufgezeigt: Der Mangel an Arbeitskräften gefährdet die heimische Wirtschaft - in ungeahntem Ausmaß. Einig sind sich die IHK-Mitglieder, dass es ohne Unterstützung aus dem Ausland nicht funktionieren werde. Die, die kommen, hätten ein weiteres Problem, ergänzt Immobilienexperte Armin Nowak aus Berchtesgaden: “Das Problem: Uns fehlt es an allen Ecken an bezahlbarem Wohnraum.” Am Ende der Ausschusssitzung bleibt ein flaues Gefühl unter den Teilnehmern. Und die Tatsache, dass der Erkenntnisgewinn überschaubar ist. 

kp

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