Vom Profi zum Lehrling: Wie Toni Palzer zum Rennradprofi wurde
Als frisch gebackener Vizeweltmeister machte er mit dem Skibergsteigen Schluss. Jetzt sitzt der Ramsauer Toni Palzer auf dem Rad und hat seine erste Grand Tour, die Vuelta a España, als Profifahrer beendet. Eine neue Red Bull-Dokumentation zeigt den ungewöhnlichen Werdegang des sportlichen Ausnahmetalents.
Ramsau bei Berchtesgaden – Dass man im Bergsteigerdorf Ramsau, wo Toni Palzer aufgewachsen ist, das Skifahren schon vor dem Krabbeln lernt, ist nur ein Palzer’scher Scherz. Er verdeutlicht aber: Für den 29-Jährigen bedeutet Skifahren alles, von Kindheit an. Vater Wolfgang Palzer sagt über seinen Sohn: „Er war früher mein bester Spezi auf dem Berg.“ Mit 16 Jahren eröffnete sich ihm der Weltcup-Zirkus. Palzers Schlüsselmoment: die Teilnahme bei den Deutschen Meisterschaften am Jenner in Schönau am Königssee, nur ein paar Kilometer vom Elternhaus entfernt. Per Sondergenehmigung durfte er bei den Erwachsenen mitlaufen. Er gewann mit drei Minuten Vorsprung. „Da war klar: Ich kann in der Welt bestehen“, sagt Toni Palzer über sein altes Ich.
Als Ausnahmetalent machte er von sich reden, immer wieder. „Skibergsteigen kennt keine Kompromisse“, sagt Palzer. Körperlich war er bereit, noch viel zu gewinnen, sagt er. Doch irgendwann spielte der Kopf nicht mehr mit. Die Passion für das Skibergsteigen blieb auf der Strecke. „Ich habe meinen Partnern nicht mehr das Maximale zurückgeben können“, so lautet das Fazit des Ramsauers, der sich über mehrere Monate von einem Kamerateam für die Dokumentation begleiten ließ. In ihm wuchs der Wunsch nach Veränderung. Das Training auf dem Rad bereitete ihm Spaß. Radfahren gewann in seinem Leben an Bedeutung. „Wie cool wäre das, mal professionell Rad zu fahren“, so beschreibt Palzer das Gedankenspiel, das ihn lange Zeit begleitete.
Ralph Denk, ehemaliger Radfahrer und nun Teammanager, sagt: „Toni war an einem Punkt, wo er noch eins draufsetzen wollte.“ Denk war es, der ihm am Ende die Chance bot, etwas Einmaliges zu vollführen: der erste Skibergsteiger zu werden, der die Sportart wechselt und aufs Rad steigt.
Ein gebührender Abschluss
Einen gebührenden Abschluss wollte sich Palzer auf Skiern nicht nehmen lassen. „Heute drehe ich durch“, sagt er in Arinsal, Andorra, bei der Skibergsteiger-Weltmeisterschaft. Nach der Ziellinie geht er auf den Boden, er ist Vize-Weltmeister geworden. Palzer weint. Er ruft seinen Vater an, sagt: „Ich habe es mir so gegeben.“
Toni Palzer war über Jahre Einzelkämpfer. Er oder keiner. „Wir müssen sehen, wie er sich in der Gruppe bewegen wird“, sagt der sportliche Direktor seines neuen Radteams, Bora-hansgrohe. Radsport sei Teamsport, sagt Ralph Denk, der Teammanager. „Die eigenen Interessen müssen hintangestellt werden.“
Im Radsport angekommen, wird er auseinander genommen, auf Herz und Nieren überprüft. „Auch wenn er schon viel Radtraining gemacht hat, ist es nochmal etwas anderes als Profi“, heißt es aus dem Team.
Für Toni Palzer ist spätestens jetzt klar, dass er sich unterordnen muss. „Ein Erfolg wäre es, für mich, eine Helferrolle zu übernehmen“, sagt Palzer in der Doku. „Vielleicht mal eine Vuelta fahren“, das war der Traum. Die spanische Vuelta a España ist neben der französischen Tour de France und dem italienischen Giro d’Italia eine der großen drei Landesrundfahrten. Mehr geht nicht.
Ein Experiment wie dieses hat es zudem noch nie gegeben: Dass einer als Profi sein Debüt gibt und davor noch nie ein Radrennen gefahren ist. Palzer in der Rolle des Lehrlings. „Wie ein Baby im Wasser“, sagt der Teammanager. „Schwimm oder geh’ unter.“
Tour of the Alps
Bei der Tour of the Alps im vergangenen Jahr gibt Palzer dann sein Debüt als Radprofi. „Als ich am Start stand, hatte ich die Hosen voll“, sagt er rückblickend. Am Ende der Kräfte zehrenden Etappen sagt er: „Mein Leben habe ich mir damit nicht leichter gemacht.“ Die nächste Bewährungsprobe: die Tour de Suisse. Acht Etappen, 1013 Kilometer, 17800 Höhenmeter. Toni Palzer trainiert wie ein Verrückter. „Ich bin manchmal mit allem überfordert“, sagt er. Lieber mal im Bett bleiben? Würde er gerne, „das geht halt einfach nicht“.
Nach acht Etappen merkt er, „dass man nie aufgeben darf. Es gibt immer die Möglichkeit zurückzukommen“, sagt er. Die Tour of the Alps sei „geschenkt gewesen“ im Vergleich mit der Tour de Suisse. Nach nur zehn Wochen hatte Palzer sein erstes Worldtour-Rennen beendet. Im Team sieht man ihn in der Lage, größere Ziele anzugehen.
La Vuelta
Auf „spanische Wurst und Sangria“ freut sich der Radprofi-Jungspund noch im Vorfeld der La Vuelta, eines der drei wichtigsten Radrennen der Welt. Zu früh gefreut: 21 Etappen, knapp 3400 Kilometer und 52000 Höhenmeter sind zu bewältigen. Das ist die Strecke Berchtesgaden – Traunstein: nur nicht horizontal, sondern vertikal. „Das ist einfach richtig krass“, sagt einer aus Palzers Team. Mit den Kräften haushalten, ist nun das Ziel. Ein Sturz und der Wille könnte gebrochen sein. Palzer stürzt bei Etappe sechs. Verletzungen an Arm und Bein bereiten ihm Sorgen. „Beim Radfahren wird nicht überlegt, ob man aufhört. Wenn ich die drei Wochen durchkomme, dann ist die Motivation höher als der Schmerz“, sagt er.
Am Ende des dreiwöchigen Marathons ist Palzer erschöpft, „mitunter die 20 härtesten Tage meines Lebens“, sagt er.
Nach nur fünf Monaten hat er es geschafft, sich im Profi-Rennradzirkus zu etablieren. “Wenn man hart an seinen Träumen arbeitet, kann man alles schaffen“, sagt Palzer. Einer seiner größten Wünsche: Einmal beim Giro d’Italia dabei zu sein. Die Dokumentation kann man sich hier anschauen.
kp
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