Julius Bitterling aus Marktschellenberg reist als Artist quer durch die Welt

Marktschellenberg – Die Bühne ist Julius Bitterlings Leben. Seit Jahren ist der Marktschellenberger als Artist unterwegs, hat eine der renommiertesten Zirkusschulen der Welt in Kanada besucht. Bitterling genoss eine Ausbildung in China, spricht fünf Sprachen. Er sagt: „Das Lächeln im Gesicht der Zuschauer gibt einem Hoffnung fürs Leben.“ Dieses und nächstes Jahr ist er auf großer Tour, über 150 Shows in verschiedenen Ländern sind geplant.
Für Julius Bitterling ist Heimat schon lange kein Ort mehr, „sondern nur noch ein Gefühl.“ Ganz abwegig ist diese Aussage auch nicht. Denn Bitterling besucht den Ort, an dem er aufgewachsen ist, nur noch selten. Vielleicht an Weihnachten mal, wenn es die Zeit zulässt. Als Artist ist die Welt sein Zuhause. Gemeinsam mit seinem Partner César begeistert er Zuschauer in den unterschiedlichsten Ländern. Julius kennt César seit vielen Jahren. Sie haben sich über das Training kennengelernt, in China entschieden sie, gemeinsam zu arbeiten.
Bitterling ist groß gewachsen, kräftiger Körper, César ist schmächtiger, leichter, meist derjenige, der den Part des Obermanns inne hat. Hebefiguren, einarmiger Handstand, eingebaut in eine Choreografie, die ohne Worte auskommt. „Was wir machen, ist Kunst“, sagt Julius Bitterling. Man kreiere ein „imaginäres Universum, in das die Zuschauer eindringen können.“ Jene Figuren, die die beiden aufführen, sind ein Ausdrucksmittel, eingebaut in eine rahmengebende Choreografie, gespickt mit Lustigem, vor allem aber tiefgründigen Geschichten.
„Wir überlegen uns, was wir dem Publikum sagen wollen“
„Ein Maler hat seinen Pinsel, ein Musikant sein Instrument.“ Julius und César haben ihren Körper. Das ganze Potential – und das Gesprür, damit Geschichten zu erzählen, auf Missstände hinzuweisen, vielleicht aber auch einfach zum Lachen anzuregen, schöpfen sie aus. „Wir überlegen uns, was wir dem Publikum sagen wollen“, sagt Bitterling. Immerzu stelle er sich die Frage, wie man sich als Mensch darstellen, gleichzeitig aber auch, wie sich das Publikum damit identifiziern könne. Kanada, dort, wo er seine dreijährige Ausbildung abschloss, hat seinen Horizont geöffnet. Die Zirkuskultur dort sei etwas Einzigartiges, in Kanada ist Zirkus identitätsstiftend, der Stellenwert weitaus höher als etwa in Deutschland, „wo man Zirkus mit ein paar Tieren in der Manege und einem Clown mit roter Nase verbindet.“
In Kanada gibt es im Zirkus keine Tiere. Kein Wow-Effekt mit einem Elefanten, dort dominiert das Zusammenspiel zwischen Schauspiel, Tanz und inspirierender Kreativität. Dass das Artistendasein also etwas anderes ist, das hat Bitterling schnell begriffen. Oft werde Zirkus mit „Übermenschlichem“ verbunden, bei dem „Performance und Unterhaltung im Vordergrund stehen.“ Jeder Künstler dort habe zwar ein hohes Niveau, sei aber austauschbar. Bitterling ist es vielmehr wichtig, „die Leute zum Denken anzuregen, als nur zu unterhalten.“ Nur so könne man Einzigartiges und nicht Ersetzbares schaffen. Das sei vergleichbar mit der Kunst eines Malers: betrachtet man ein Werk, müsse man auch zwangsläufig weiterdenken. Bitterling hat sich schon früh für Artistik begeistert. In Reichenhall hat er schon während der Schulzeit trainiert.
„Es ist schön, mit so vielen verschiedenen Kulturen zu tun zu haben“
Der klassische Weg, nach dem Abitur erstmal zu studieren, kam für ihn nicht in Frage, er ging nach Frankreich, China, später nach Kanada, wo er sich zwei Jahre lang auf seine Abschlussshow vorbereitete, gemeinsam mit César, einem Franzosen. Überhaupt sei die Zirkusgemeinde sehr international, „obwohl es eine sehr kleine Welt ist.“ Ob Spanier, Chinesen, Amerikaner oder Italiener – der Kontakt mit Menschen hat Priorität, der Austausch untereinander sei wichtig. Viele Sprachen stoßen da aufeinander. Es sei dies eine Gemeinschaft, die keinen ausgrenzt, sondern verbindenden Charakter habe – eine gemeinsame Leidenschaft für etwas. „Es ist schön, mit so vielen verschiedenen Kulturen zu tun zu haben“, sagt Bitterling, der trotz seines
jungen Alters schon viel von der Welt gesehen hat, seit Jahren im Ausland lebt. Bitterling betrachtet das viele Reisen, das In-der- Welt-Herumkommen als „permanente Weiterbildung“ - zum einen für sich, zum anderen für das Publikum - „Dienst am Menschen“ nennt er das. Anstrengung und Motivation seien wichtige Faktoren, um den eigenen Körper zu trainieren. Denn dass das Artistendasein Höchstleistungen an den eigenen Körper stellt, daraus macht Julius Bitterling kein Hehl. Mit der „eigenen Kreativität den Figuren eine andere Farbe zu geben“, das sei der Anspruch, den Julius und César an sich stellten. Die beiden sehen es als Privileg, auf die Bühne zu gehen, ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Sich selbst verwirklichen zu wollen, das sei das, was sie erreichen wollen. Und das funktioniert vor allem mit ihrem eigenen Programm. Gemeinsam mit neun weiteren Artisten werden Julius und sein Partner ab Juni auf Tour gehen, zwei Jahre lang durch die Welt reisen, Großbritannien, Mexiko, Frankreich, die USA - begleitet von Musikern und einem Komponisten.
Hoffnung fürs Leben
Vergangenes Jahr tourte Julius drei Monate durch China, kürzlich war er für mehrere Shows in Saudi-Arabien. Derzeit lernt er die Sprache. Überhaupt ist das Sprachenlernen und das Treffen von Leuten aus anderen Nationen für Bitterling entscheidend: „Jede Sprache trägt die Mentalität, das Wissen und das Verständnis einer anderen Kultur in sich“, sagt er. Als Julius Bitterling in Mexiko war, besuchten sie ein dortiges Migrantenzentrum, führten Partnerakrobatik auf. „Es war ungemein interessant, wie die Leute reagieren und plötzlich ein Lächeln im Gesicht hatten“, sagt er. Als „Hoffnung fürs Leben“ bezeichnet er dies. So gibt es in der Tat auch ein Projekt für vergewaltigte Frauen, die Zirkus machen. Der Applaus, den sie erhalten, soll sich auf die Seelenheilung auswirken. Oft mehrere Stunden am Tag trainiert Bitterling. Der Wettkampf-Gedanke hat ihn schon immer gestört. Im Januar hat er beim Festival Mondial du Cirque de Demain mitgemacht, beim renommiertesten Zirkusfestival weltweit. 25 Nummern wurden dort aufgeführt, 6000 Zuschauer saßen im Publikum. „So etwas erfüllt einen im besonderen Maße.“
Kilian Pfeiffer