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"Wenn man die Wohnungstür kaum mehr öffnen kann, läuft etwas falsch"

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Jürgen Bonigut ist in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein unterwegs, um Messies und Müllis beim Aufräumen zu helfen.
Jürgen Bonigut ist in den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein unterwegs, um Messies und Müllis beim Aufräumen zu helfen. © Kilian Pfeiffer

Bischofswiesen – Wenn Jürgen Bonigut beruflich eine Wohnung betritt, hat er es in der Regel mit Messies oder Müllis zu tun. Seine Aufgabe: Ausräumen. Den Großteil seiner Aufträge erhält der Mitarbeiter des Messie-Hilfe-Teams im Berchtesgadener Land und in Traunstein von öffentlicher Hand.

Hohe Berge aus Büchern und Zeitungen flankieren den schmalen Gang, der sich durchs Wohnzimmer schlängelt. Stühle und Sofa sind voll davon. Kartons und Dinge, die schon lange nicht mehr genutzt werden, verwandeln den Raum für Außenstehende in eine Müllhalde.

Für den Bewohner, der hier in den vergangenen Jahre gelebt hat und noch immer lebt, sind die Gegenstände von großem Wert. Der ältere Herr ist ein Messie. So werden all jene bezeichnet, die ein schwerwiegendes Defizit haben, die eigene Wohnung in Ordnung zu halten, erklärt Jürgen Bonigut.

"Wenn man die Wohnungstür kaum mehr öffnen kann und die Bodenfläche immer weniger wird, kann man davon ausgehen, dass etwas falsch läuft", sagt er. Ein sicheres Indiz für einen Messie sei, "wenn es nur noch einen schmalen Gang gibt, durch den man laufen kann". Oft schlafen sie nicht in ihren Betten, sondern dort, wo ein Plätzchen frei ist.

Dunkelziffer höher, als gedacht

Messies werden regelmäßig mit einem Desorganisationsproblem in Verbindung gebracht. Alltagsaufgaben können sie nur eingeschränkt organisieren. Häufig sind es seelische Störungen, die zugrunde liegen. Als Krankheit werde das Messie-Syndrom aber bislang nicht eingeordnet, sagt Jürgen Bonigut, der in Bischofswiesen wohnt und von dort aus seine Aufträge koordiniert.

Der Idealfall bei Messies sei allerdings, wenn psychologische Hilfe Hand in Hand geht. Als Messie-Helfer arbeitet Jürgen Bonigut anders, als etwa ein Entrümpler. Diese sorgen dafür, dass eine Wohnung teilweise oder komplett geräumt wird - unabhängig von der Person, die in der Wohnung lebt. Entrümpler kommen meist erst dann, wenn der Auszug stattgefunden hat.

Messies leben hingegen weiterhin in der Wohnung. Laut Jürgen Bonigut gibt es mehr Messies als gedacht. Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung könnten so bezeichnet werden. Die Dunkelziffer liege deutlich höher. Messie wird man nicht von heute auf morgen. Vielmehr gibt es einen Grund für die Entwicklung. Meist ist es ein schleichender Prozess.

Mitunter großer Gestank

"Irgendwann wird der Berg an Gegenständen, die man vielleicht noch brauchen könnte, aber nicht wegwerfen möchte, immer höher", sagt Jürgen Bonigut. Messies geben dann ein Zimmer auf und ziehen sich in ein anderes zurück - bis auch dieses voll gestellt ist. "Es gibt Messies, die wirklich alles aufheben – vom Eierkarton über Zeitungen der vergangenen Jahre bis hin zur Umverpackung."

Da stapeln sich die Dinge dann nicht nur auf dem Boden, sondern auch vor Fenstern, auf Stühlen oder der heimischen Couch. Auch wenn die Unordnung groß sei, bedeute das nicht gleichzeitig, dass die Räume verdreckt sind, sagt Jürgen Bonigut.

Trotzdem gibt es zahlreiche Fälle, in denen der Gestank groß ist. Im Laufe der Zeit hat er sich aber daran gewöhnt. Dass ein Messie-Fall bekannt wird, hat auch viel mit Zufall zu tun. Etwa dann, wenn der Geruch einer Wohnung ins Treppenhaus zieht und Nachbarn aufmerksam werden. "Dann melden sie das der Hausverwaltung", erzählt Jürgen Bonigut. Oder wenn ein in Unordnung Lebender ins Krankenhaus kommt und Angehörige seit Langem das erste Mal die Wohnung betreten.

Messies und Müllis

70 Prozent seiner Aufträge bekommt Jürgen Bonigut von öffentlicher Hand, also Betreuern, Ämtern oder Hilfseinrichtungen. 30 Prozent von Angehörigen, welche die Helfer zum Aufräumen, Aussortieren und Wegwerfen buchen.

Neben Messies gibt es auch sogenannte Müllis. Das sind Personen, denen es nicht gelingt, tatsächlichen Müll zu entsorgen. Neben zugemüllten Spülen und überfüllten Mülleimern liegen da schon mal Essensreste irgendwo in der Wohnung herum und verrotten vor sich hin. "Oft riecht es sehr stark", sagt Jürgen Bonigut, der in seiner Laufbahn auch schon viele Menschen kennengelernt hat, die Messie- und Mülli-Syndrom vereinen.

Hilfsdienste wie etwa Malteser oder Caritas arbeiten mit den Messie-Helfern zusammen. Jürgen Bonigut hat in seiner Laufbahn viele Messies kennengelernt, die eine schwierige Kindheit hatten, oft wenig Liebe erfahren haben oder eine superstrenge Erziehung. Seine Aufträge dauern meist mehrere Tage. Zunächst muss sich Jürgen Bonigut ein erstes Bild von einer Wohnung machen, um einschätzen zu können, wie hoch der Aufwand ausfällt. Dann vereinbart er einen Termin mit dem Betroffenen, der im besten Fall die Hilfe in Anspruch nimmt. Nur dann könne das beste Ergebnis erzielt werden.

Etwa die Hälfte hält Ordnung

Oft sei der Widerstand zu Beginn aber groß. Beim Aufräumen komme es vor allem auf die Mitarbeit des Messies an: "Da kann man schonmal über einen benutzten Teebeutel oder eine alte Rechnung diskutieren", sagt Jürgen Bonigut. Wenn ein Betroffener aber erst einmal davon überzeugt sei, dass die Hilfe zum eigenen Vorteil ist, geht es schneller. Riesige Stapel Zeitungen wandern dann schon mal in den Müll, Gerümpel der vergangenen Jahre.

"Wir nehmen aber nichts mit, wenn die Bewohner nicht einverstanden sind", sagt er. Denn für einen Messie sei es eine extreme Stresssituation, wenn sich Fremde in der eigenen Wohnung aufhielten. Müllis seien häufig froh über die Hilfe von außen.

Bislang gibt es nur wenige spezialisierte Psychologen, die Messies behandeln. Allerdings ist Unterstützung das A und O. "Wir möchten diese Leute nicht alleine lassen." Denn die Rückfallquote ist laut Jürgen Bonigut hoch. "Rund 50 Prozent schaffen es, dass die Wohnung in ordentlichem Zustand bleibt."

Schirme gesammelt - auch defekte

Erst kürzlich hatte Jürgen Bonigut einen Fall eines Messies, der zwei Wohnungen hatte - vollgestellt bis unter die Decke mit Büchern. Ein besonderes Sammelgut waren die zahlreichen Schirme, die der Mann meist beim Spazieren gefunden hatte und mit nach Hause nahm. Bis auf einen waren alle defekt. Die Wohnung durfte Jürgen Bonigut aufräumen. Ein Großteil der Gegenstände landete im Müll.

Jürgen Bonigut hat in früheren Jahren selbst gerne gesammelt. Aber anders, als es ein Messie tut. Kleine Kartons stapelten sich bei ihm. "Die man unter Umständen nochmal brauchen könnte", sagt er rückblickend. Irgendwann wurde der Platz im Keller dann aber knapp. Er entschied, sich von den Kartons zu trennen. Ein Messie braucht dazu in der Regel Hilfe.

Kilian Pfeiffer

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