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Hilfe in den dunkelsten Momenten: „Trauer ist nicht nach Stunden wieder vorbei“

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Von: Kilian Pfeiffer

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Trauerbegleiterinnen Kathrin John und Gundi Köppl.
Trauerbegleiterinnen Kathrin John und Gundi Köppl. © kp

„Erst glaubt man, man sei mit seiner Trauer ganz allein und hat niemanden, der einem zuhört”, sagt Gundi Köppl. Gemeinsam mit der Reichenhaller Intensivpflegerin Kathrin John unterstützen sie als Trauerbegleiterinnen Menschen nach schweren Schicksalsschlägen.

„Erst glaubt man, man sei mit seiner Trauer ganz allein und hat niemanden, der einem zuhört”, sagt Gundi Köppl. Nach dem Verlust ihres Sohnes Simon, nach den Diagnosen Krebs und Multiple Sklerose (MS) hatte die 52-jährige Krankenschwester das Bedürfnis „etwas zu tun”. Gemeinsam mit der Reichenhaller Intensivpflegerin Kathrin John unterstützen sie als Trauerbegleiterinnen Menschen nach schweren Schicksalsschlägen.

Als Gundi Köppl ihren Sohn auf die Welt brachte, war das Kind tot. Simon ist in der Ramsau beerdigt: „Ich habe mittlerweile gelernt, mit der Trauer umzugehen”, sagt die Mutter zweier weiterer Kinder. Der Verlust des Sohnes, der 18 Jahre zurückliegt, riss ein Loch in ihr Leben, schuf eine Lücke, die sich nicht füllen ließ. Hilfe bot ihr damals eine Trauergruppe im nahe gelegenen österreichischen Elsbethen. Eltern trauerten dort gemeinsam um ihre verstorbenen Kinder. 

„Trauer ist nicht nach Stunden wieder vorbei“

„Trauerarbeit”, sagt Kathrin John, „ist das emotionale Aufarbeiten und die aktive Auseinandersetzug mit der Wirklichkeit des Verlustes.” Trauern gilt als eine angeborene Reaktion, ähnlich wie Freude oder Wut. „Bei plötzlichem Tod kommt oft die Notfallseelsorge zu Hilfe”, sagt Kathrin John. „Aber Trauer ist nicht nach Stunden wieder vorbei.”

Manchmal dauert es Wochen, Monate, in manchen Fällen Jahre, bis Betroffene mit einem Verlust zurechtkommen und dieser ein unumgänglicher Teil des Lebens wird. „Das Trauern verändert sich mit der Zeit”, sagt Gundi Köppl. An das Grab ihres Sohnes, der im Bergsteigerdorf Ramsau beerdigt ist, pilgert sie nicht mehr regelmäßig wie früher. Sie habe gelernt, mit dem Verlust umzugehen. Unzählige Gespräche haben ihr dabei geholfen.

Kathrin John fordert: „Trauer gesellschaftsfähig machen“

Ihre Kollegin Kathrin John arbeitet in der außerklinischen Intensivpflege in einer Einrichtung in Bad Reichenhall, die Langzeitpflegeplätze anbietet. Wachkomapatienten werden dort betreut, häufig nach schweren Unfällen oder geplatzten Aneurysmen. Das Leben der Menschen ändert sich von einem auf den anderen Moment. Die Patienten sind häufig langzeitbeatmet, oft über mehrere Jahre. Das Bangen um den Tod schwingt mit. „Irgendwann scheidet jeder aus dem Leben”, sagt Kathrin John. „Dann ist die Trauer ein entscheidender Faktor.” Die Angehörigen gehen unterschiedlich damit um”, weiß die Intensivpflegerin. 

Kathrin John fordert, „Trauer gesellschaftsfähig zu machen.” Ihrer Erfahrung nach sind der Verlust eines Menschen und der Umgang mit der Trauer noch immer Tabuthemen. Über so etwas spricht man nicht, gilt als gängige Meinung. Die Hemmschwelle, darüber zu reden, ist weiterhin groß. Gundi Köppl hat das Reden über den Tod ihres Sohnes geholfen, sagt sie. Wenn Trauer unterdrückt wird, sucht sie sich einen anderen Weg nach draußen, weiß Kathrin John. „Oft lautet die Diagnose von Ärzten dann Depression, dabei ist es nur eine unterdrückte Trauerreaktion, die sich sowohl seelisch als auch körperlich ausdrückt”, so die 53-Jährige. 

„Trauer ist wie ein Erdbeben“

Kathrin John ist über Facebook auf das Weiterbildungsangebot zur Trauerbegleitung gestoßen. Sie hat eine Ausbildung in Gelsenkirchen absolviert, fast ein Jahr dauerte diese. Sie gilt nun als zertifizierte Trauerbegleiterin, die im Ehrenamt das Gespräch mit Betroffenen sucht. Trauerbegleiter unterstützen, indem sie da sind, zuhören, „wir schweigen gemeinsam und versuchen, die Trauer im wahrsten Sinne des Wortes zu verarbeiten”, sagt Kathrin John. 

Sich in andere Menschen hineinfühlen und akzeptieren zu können, gehört wohl zu den größten Stärken, die man vorweisen muss. „Gefühle in Worte zu fassen, funktioniert bei Menschen, die dasselbe durchgemacht haben wie man selbst, am besten”, sagt sie. 

In ihrer Ausbildung hatte sie mit vielen Betroffenen zu tun, die andere verloren hatten. Männer, die auch nach Jahren um die aus dem Leben geschiedene Ehefrau trauerten, Kinder, die Vater und Mutter verloren hatten und mit ihren Gefühlen sowieso anders umgehen als Erwachsene. Trauer sei wie ein Erdbeben, schrieb mal ein Betroffener, sagt Kathrin John: Es reiße einen zu Boden und die Welt fällt entzwei. „Und nachdem du deine Welt mühsam wieder aufgebaut hast, gibt es immer wieder kleine Nachbeben.” 

„Man darf auch durchaus traurig sein“

Beim Spazierengehen an der Königsseer Ache traf Kathrin John kürzlich eine ältere Dame mit Tränen in den Augen. Die beiden kamen ins Gespräch. Die Frau habe ihr erzählt, dass sie auf der Bank häufig mit ihrem seit einigen Jahren verstorbenen Mann gesessen sei. „Daran zu denken, wie etwas war, gehört zum Trauerprozess dazu”, sagt Kathrin John.

Gemeinsam mit Berchtesgadens evangelischem Pfarrer haben die beiden Trauerbegleiterinnen eine Gruppe ins Leben gerufen, die sich an jedem ersten Mittwoch des Monats im Pfarrhaus der evangelischen Christuskirche trifft. In kleinen Gruppen sprechen Betroffene über ihre Lebenssituation und verarbeiten im Gespräch seelisches Leid. In Einzelgesprächen sollen Interessierte Hemmungen abbauen und herausfinden, „ob die Gruppe überhaupt etwas für einen selbst ist”. Mit dem Kriseninterventionsteam Berchtesgadener Land (KIT) haben die Trauerbegleiterinnen Kontakt geknüpft. Dort werden Menschen nach akuten Ereignissen betreut. „In der Zeit danach stehen wir zur Verfügung”, sagt Kathrin John. 

Den hilflosen Spruch, dass die Zeit alle Wunden heile, teilt sie nicht. Nach einem Verlust Stärke zeigen? „Das muss man nicht”, sagt sie. „Man darf auch durchaus traurig sein.”  

Weitere Infos unter dubistnedalloa.selbsthilfegruppe@gmail.com oder Telefon 0151/65148349.

kp

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