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Wie sich Alex Hellenkamp nach einem Schlaganfall mit 26 Jahren wieder ins Leben zurückkämpft

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Von: Kilian Pfeiffer

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Mit 26 Jahren war er Schlaganfall-Patient: Alex Hellenkamp heute bei einem Ausflug an der Seelände des Königssees.
Mit 26 Jahren war er Schlaganfall-Patient: Alex Hellenkamp heute bei einem Ausflug an der Seelände des Königssees. © Pfeiffer

Zuerst kam der Schwindel, dann die Übelkeit. Drei Wochen später ereilte Alex Hellenkamp ein Schlaganfall. Die rechte Körperhälfte: gelähmt. Da war der Wahl-Berchtesgadener 26 Jahre alt. Mit einem Mal war sein Leben ein anderes. 

Berchtesgaden/Schönau am Königssee – Alex Hellenkamp blickt auf den Königssee. Vor ihm schwimmt ein Elektroboot. Die Passagiere steigen gerade aus. In der Hand hält er eine Minikamera. Er filmt das Geschehen. Seit etwas mehr als einem Jahr hat er einen YouTube-Kanal. Fast 100 Videos sind es schon. Die Kamera begleitet den heute 36-Jährigen auf seinen Wanderungen. Wandern ist - Gott sei Dank - wieder möglich, nach langer Zeit des Bangens, und nachdem ein Aneurysma, eine lokale Aussackung eines Blutgefäßes, in seinem Kopf geplatzt war. Die Ärzte hatten wenig Hoffnung. Alex’ Familie war bereits informiert worden. Sie eilte zu ihm nach Schottland, wo er studiert hatte. Damit sie sich noch verabschieden können, hieß es damals.

Alex Hellenkamp ist in seinem Leben viel rumgekommen. Der Vater arbeitet in der Baubranche. Als Alex neun Jahre alt war, zog die Familie nach Dubai. Bis zu seinem 18. Lebensjahr blieb er im Wüstenstaat. Seine Eltern kauften sich ein Haus in Schönau am Königssee.

Alex arbeitete in Schottland als Bierbrauer

Alex ging auf die Uni nach Schottland, studierte „Brewing and Distilling”, Brauen und Destillieren. Bierbrauer wollte er werden. Der Bachelor-Abschluss war kein Problem. „Im Studium war ich immer recht gut”, sagt der Mittdreißiger. Drei Jahre lang arbeitete er in Wales in einer Großbrauerei, entschied sich dazu, den MBA dranzuhängen, den Master of Business Administration, ein Management-Studium, das ihm den Weg ebnen sollte, Karriere zu machen. Er bekam ein Stipendium.

Sein Leben lebte er in vollen Zügen: viel Alkohol, Partys, rauchen. Auf der anderen Seite stand der Sport. „Ich war sportsüchtig”, sagt Alex Hellenkamp rückblickend. Nach langen Partynächten ging er früh morgens zum Laufen und zum Squash. In der Studentenverbindung war er der „Executive Officer”, zudem Vorstand einer Wandergruppe. Neben dem Studium arbeitete er in einer Brauerei.

Wandern und spazieren sind wieder möglich: Bei seinen Wanderungen immer mit dabei ist die Minikamera. Im Fokus: ein Elektroboot der Königssee-Schifffahrt.
Wandern und spazieren sind wieder möglich: Bei seinen Wanderungen immer mit dabei ist die Minikamera. Im Fokus: ein Elektroboot der Königssee-Schifffahrt. © Pfeiffer

Im Urlaub in der Karibik war er auf einem Boot unterwegs. „Vomit Comet” heißt das Schiff. Vomit bedeutet: erbrechen. „Ich war nie seekrank”, sagt Alex Hellenkamp. Auf dem Boot „ging es mit mir aber bergab”, erinnert er sich. Beim Stehen hatte er Probleme, „mir wurde schwindelig und extrem übel”. Bei jeder Gelegenheit suchte er sich einen Stuhl. Zurück beim Studieren rieten ihm die Kommilitonen, doch einen Mediziner aufzusuchen. Der Schwindel blieb.

Er ging zum Arzt, der verschrieb ihm nur Schmerzmittel. Drei Wochen lang ging das jetzt schon so, keine Aussicht auf Besserung. „Ich lag im Bett im Studentenwohnheim und wollte gerade ein paar Rechenaufgaben für die Uni lösen.” Es klappte nicht. Nicht mal die einfachsten Aufgaben. Zwei plus zwei? „Ich wusste keine Lösung”, sagt Alex. Der Schwindel trieb ihn vom Bett. Er stand auf, fiel hin. „Ich spürte meine rechte Seite nicht mehr.” Arm und Bein waren ohne Gefühl. Er robbte am Boden zum Nebenzimmer, stand auf, wollte reden. Kein Wort verließ seinen Mund. Dann klappte er wieder zusammen.

„Mein Arm ist nur noch zu zehn Prozent brauchbar”

Zehn Minuten von Alex Studentenwohnheim war ein Krankenhaus mit Stroke-Unit. Stroke-Units sind Spezieleinrichtungen für Schlaganfall-Patienten. Weil die Kommilitionen rasch reagierten, war er schnell in guten Händen. „Durch das Aneurysma war viel Blut in mein Gehirn gelangt”, sagt Alex Hellenkamp. Dadurch stieg der Druck im Kopf. Der damals 26-Jährige wurde ins künstliche Koma versetzt, sein Schädel geöffnet. Die Ärzte sagten, das Aneurysma hatte er von Geburt an. Die Familie reiste an. Die Ärzte hatten wenig Hoffnung, dass der junge Mann überleben würde. Abschied mit 26 Jahren?

Alex überlebte. Drei Monate lang war Alex Hellenkamp ohne Schädelplatte. „Ich musste stark aufpassen.” Erst während der Reha in der Loipl-Klinik in Bischofswiesen bei Berchtesgaden wurde ihm eine künstliche Platte eingesetzt, die das Gehirn schützt. Ein halbes Jahr und viele Logopäden-Sitzungen später konnte er wieder so reden, wie er es heute tut. „Das hat lange gedauert”, sagt er. Im rechten Arm und Bein fehlt ihm auch heute noch das Gefühl. „Mein Arm ist nur noch zu zehn Prozent brauchbar”, sagt Alex Hellenkamp. Er muss Medikamente nehmen wegen Epilepsie. Eine Folge des Schlaganfalls. Er hat den Führerschein neu gemacht, darf Automatikgetriebe fahren. Der Behindertenausweis bescheinigt ihm eine 50-prozentige Behinderung. Das Management-Studium konnte er nicht mehr beenden: „Weil ich es nicht mehr wiedergeben und aufschreiben kann, was in der Uni gefordert wird”, sagt er. 

Einen Job zu finden, ist sein größter Wunsch

Alex Hellenkamp wohnt bei seinen Eltern in Schönau am Königssee. In den vergangenen Jahren hat er mehrere Jobs angenommen, war in Call-Centern in Griechenland und Bulgarien für große Firmen tätig. In Freilassing arbeitete er mit Flüchtlingen. Als Weltenbummler bewarb er sich im chinesischen Guangzhou für einen Job als Englischlehrer. Dort angekommen, wiesen ihn die Zuständigen wegen seiner Behinderung ab.

„Als Brauer werde ich wahrscheinlich nicht mehr tätig sein können”, sagt er. Einen Job zu finden, ist sein größter Wunsch.

Die Freizeit, die er hat, nutzt er seit der Corona-Pandemie zum Wandern. Immer mit dabei: die kleine Kamera. „Ich habe YouTube für mich entdeckt.” Ob vom Königssee, vom Obersalzberg, vom Watzmannhaus oder bei Ausflügen mit seiner Familie: Seine Eindrücke bannt er auf Speicherkarte und lädt die Filmchen auf der Video-Plattform hoch. Mehrere seiner Videos haben tausende Klicks. Abonnenten hat er noch nicht so viele. „Ich habe einfach Spaß dran, das zu filmen, was ich erlebe”, sagt Alex Hellenkamp. Überhaupt hat er wieder Spaß am Leben. Er kann nicht alles tun, was andere können, die Wortfindung nervt ihn manchmal. Englisch zu sprechen fällt ihm leichter als Deutsch, sagt er. 

Er will wieder arbeiten, schreibt Bewerbungen. Der 36-Jährige ist zuversichtlich, bald einen Job zu bekommen. 

kp

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