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Der Nationalpark Berchtesgaden als „Zentrum der Nachhaltigkeit“

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Von: Kilian Pfeiffer

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Nationalparkleiter Dr. Roland Baier (links) und Umweltbeauftragter Oliver Pohl. Die Silhouette des Watzmann in bunten Farben orientiert sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN. © kp

Wieso ist nachhaltiges Handeln so schwierig? „Weil es eine Entscheidung ist, die man jetzt trifft, deren Auswirkungen aber erst später zu sehen sind“, sagt Oliver Pohl. Der Umweltbeauftragte des Nationalparks Berchtesgaden hat wissenschaftlich den Begriff des „Nachhaltens“ erforscht und analysiert seit fünf Jahren den ökologischen Fußabdruck des Schutzgebietes in Berchtesgaden.

Berchtesgaden – Die These regt zum Nachdenken an: „Bei so viel Nachhaltigkeit müsste die Welt doch schon längst gerettet sein“, sagt Oliver Pohl. Nachhaltig zu handeln, das propagiert heutzutage jedes Unternehmen. „Das Wort ist dehnbar“, sagt der Umweltbeauftragte - in jedem Fall ist es zum inflationär gebräuchlichen Überwort geworden. „Ich habe manchmal Zweifel und traue dem Wort nicht immer über den Weg“, sagt Oliver Pohl. Vom Marketing vereinnahmt, gilt Nachhaltigkeit als „Containerwort“, das von der Politik so lange gedreht und gewendet wird, „bis es schließlich passt“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des Nationalparks. Begriffe wie „nachhaltiges Wachstum“ erobern den Sprachgebrauch. Zahlen am Ende Enkel und Urenkel die Zeche?

Oliver Pohl hat sich mit dem sogenannten Erdüberlastungstag beschäftigt. Damit wird jener Tag des Jahres markiert, an dem die Menschheit bereits so viel von der Erde beansprucht hat, wie alle Ökosysteme in einem Jahr erneuern können. Im Jahr 2000 war das der 23. September. Mittlerweile ist man bereits im Juli angelangt. Die Zeit wird kürzer. Nachhaltiges Wachstum, global gesehen, sieht anders aus. „Der Weg, den die Menschheit geht, ist durchaus fehlerbehaftet“, sagt Pohl. Als Umweltbeauftragter des Nationalparks Berchtesgaden versteht er sich als Brückenbauer „zwischen Wissen und Handeln, um die globalen Herausforderungen der Zeit annehmen zu können“. Der Nationalpark Berchtesgaden ist ein verschwindend kleines Rädchen. Klar ist: Ein Nationalpark allein wird es nicht richten. 

Das „Zentrum der Nachhaltigkeit“

Der Alpennationalpark ist laut Pohl die einzige von 141 existierenden Schutzgebietsverwaltungen, die das eigene Handeln mit hohem personellen und finanzielle Aufwand analysiert. Dort handelt man nach den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Ob Energieeinsatz, Lieferketten, Wasserverbräuche oder CO2-Ausstoß: „Wir nutzen ein Umweltmanagementsystem und lassen uns jedes Jahr überprüfen“, sagt Pohl. Der Leiter des Nationalparks, Dr. Roland Baier, sagt, dass das Schutzgebiet das „Zentrum der Nachhaltigkeit“ sei. 

Doch was ist Nachhaltigkeit überhaupt? Der Umweltbeauftragte hat sich auf Spurensuche begeben. Pohl arbeitet wissenschaftlich, seine Erkenntnisse hat er in den vergangenen Jahren zusammengetragen. Bereits vor hunderten Jahren wurde in und um Berchtesgaden Raubbau an der Natur begangen. In einem Waldvisitationsprotokoll von 1604 wurde zwar eine nachhaltige Versorgung der Saline mit Holz gefordert, um die Salzproduktion garantieren zu können. „200 Jahre später war so viel Holz weg, dass man es aus dem österreichischen Pinzgau nehmen musste.“ Erst im 18. Jahrhundert wurde das erste Mal von einer „nachhaltigen Nutzung“ gesprochen. 1915 wurde der Begriff der Nachhaltigkeit in das Lexikon der deutschen Sprache aufgenommen. Zuvor war das „Nachhalten“ vor allem Teil der mittelalterlichen Rechtssprache, zurückzuführen auf die Zünfte. 

In den 1970er-Jahren seien zum ersten Mal Zusammenhänge zwischen lokalem Handeln und globaler Auswirkung beschrieben worden. „Die Grenze des Wachstums“ war ein erfolgreicher Buchtitel, auf den Hollywood-Verfilmungen wie „Soylent Green“ folgten. Der Film von 1973 spielt im Jahr 2022: Knappe Ressourcen, Nahrungsnot und Verteilungsungerechtigkeiten sind darin Thema. Der Begriff des Klimawandels taucht auf - und Menschen laufen darin mit Masken herum.

Als US-Präsident Jimmy Carter in den 1970er-Jahren eine Umweltstudie (Global 2000) in Auftrag gab und zehn Jahre später der Brundtland-Report erschien, war die Bedeutungsebene für „nachhaltige Entwicklung“ eine andere geworden: Die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation, hieß es, müssten befriedigt werden, ohne die Fähigkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken. Ob Rio-Gipfel, Kyoto-Protokoll oder Pariser Abkommen im Jahr 2015 mit der 1,5 Grad Celsius-Marke: Das Erreichen verlässlicher Werte nach globalem Standard sei das Ziel gewesen, „ein globales einheitliches System zur Messbarkeit von Umweltleistungen“, so fasst es Oliver Pohl zusammen. 

Dort ansetzen, wo es möglich ist

Was das alles mit dem Nationalpark Berchtesgaden zu tun? Dort gibt man sich stolz, den 17 Nachhaltigkeitszielen der UN-Agenda für 2030 zu folgen. Auf den 169 Unterzielen basiere die ganzheitliche Umweltstrategie des Nationalparks. „Wir können dort ansetzen, wo es uns möglich ist“, sagt Pohl. Die öffentliche Hand als wirkendes Vorbild? Im Nationalpark beginnt das zumindest bei der Wahl des Stromanbieters, setzt sich fort in Materialwahl und Lieferketten und endet bei der Arbeitskleidung der Nationalparkmitarbeiter aus bedrucktem Material, „das man auf dem Kompost entsorgen könnte“.

Seit Jahren versuchen die Verantwortlichen, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern. Der Strom stammt mittlerweile vom eigenen Dach, nur noch eine einzige Ölheizung gibt es in den 15 Liegenschaften. Auch die sieben Tonnen Druckerzeugnisse pro Jahr wurden bereits deutlich reduziert. „Wir konnten den CO2-Ausstoß nachweislich im Laufe der vergangenen Jahre von 316 auf 243 Tonnen verringern - durch bewusste und gezielte Maßnahmen“, sagt Oliver Pohl. Ob Biodiversität auf dem Betriebsgelände, eingedampfte Reisetätigkeit oder gezielte Abfallmengenreduktion: „Wir liegen deutlich unter dem Durchschnitt bayerischer Behörden“, sagt Pohl. Macht der Nationalpark also alles besser? 

„Wir nehmen uns den Herausforderungen der Zeit an“, sagt der Umweltbeauftragte. Ein Netzwerk an lokalen Akteuren, die sich den Nachhaltigkeitszielen verpflichtet sehen, unterstützt das Schutzgebiet. „Jeder muss das tun, was ihm möglich ist“, sagt Pohl.

kp

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