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Wie tickt Putin? Prof. Dr. Gunther Schmid über den Ukraine-Krieg und die globalen Auswirkungen

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Prof. Dr. Gunther Schmid über Putins Krieg und die globalen Auswirkungen
von links: Manfred Weißenberger, Kreisvorsitzender ASP (Arbeitskreis Außen-und Si-cherheitspolitik) der CSU, Alfred Janzik von der Hans Seidel Stiftung und Dr. Wolfram No-reisch von der Ortssektion der GSP © wb

Bereits vor zwei Jahren sprach Professor Dr. Gunther Schmid bei einem Vortrag im Offiziers-Casino Bad Reichenhall für die heimische Sektion der „Gesellschaft für Sicherheitspolitik“ (GSP) vom Verfall der liberalen Weltordnung, und einer „Zeitenwende in der internationalen Politik“, davon, dass die Demokratie an Strahlkraft verliert und weltweit immer mehr Staaten autokratisch regiert werden. 

Bad Reichenhall - In einer Kooperation der GSP und der Hans Seidel Stiftung war es gelungen, den versierten Referenten erneut nach Bad Reichenhall einzuladen - dieses Mal zum brandaktuellen Thema: „Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine“.

An den Anfang seines Referates stellte Dr. Schmid ein Zitat von Helmut Schmidt, der sagte: „Außen- und Sicherheitspolitik beginnt mit dem Erkennen der Wirklichkeit!“. Wie der Referent weiter ausführte, steht die BRD aktuell vor einem Epochenbruch, vor dem sie, bezüglich der Außenpolitik, in den letzten 70 Jahren nicht gestanden ist. Zum einen endete die letzte, 77 Jahre andauernden Friedensperiode in der deutschen und europäischen Geschichte der letzten 200 bis 300 Jahre.

Weiter endete die liberale, europäische Friedensordnung, die in den 1990er Jahren von Russland mit vereinbart wurde. Drittens endete die Illusion: „Wandel durch Handel“ da etwa China umso mehr Repressionen anwendete, je mehr der Handel angekurbelt wurde. Auch Russland nutzt aktuell Gas oder andere Rohstoffe als massives Erpressungspotential.

Als letzte Zäsur endete die deutsche Russlandpolitik der letzten drei Jahrzehnte und die damit verbundene Sonderrolle Deutschlands. „Innenpolitisch hat der Angriffskrieg Russland von einer harten Autokratie in einer noch härteren Diktatur katapultiert.“ Sieht man die Kreml-Administration, den Geheimdienst und das Militär als tragende Säulen dieser Diktatur, erinnert vieles davon an die Strukturen in Nordkorea.

In Deutschland wurde keine Regierung vorher so schnell mit der harten Realität konfrontiert wie diese, einhergehend mit einer vorher unvorstellbaren, radikalen Wende in der deutschen Sicherheits-, und Außenpolitik und Umsetzung der härtesten Sanktionen, die jemals gegen eine Großmacht verhängt wurden. Hier stelle sich die Frage: Wie verarbeitet die deutsche Politik und Gesellschaft, auch mental, diesen Epochenbruch, da in unserer derzeitigen „Wohlfühlgesellschaft“ Feindbilder überhaupt keinen Platz haben?“

Laut Experten hat auch die abnehmende Bedrohungswahrnehmung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik seit den 1990er Jahren einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Kriege seien für die Deutschen „regionale Randphänomene“ gewesen - bis zum 24. Februar 2022.

Als weitere Kernfrage stehe im Raum: Bringt Deutschland den notwendigen langen Atem und die Bereitschaft auf, die weitreichenden und spürbaren Folgen dieses Krieges gemeinsam zu tragen? Dr. Schmid zeigte sich überzeugt davon, dass Putin auf die abnehmende Solidarität in diesem Abnutzungskrieg, eine langsam zunehmende Durchhaltefähigkeit des Westens, eine abnehmende Aufmerksamkeit der Medien und eine abnehmende militärische Unterstützung der Ukraine setzt. Ablesen kann man dies bereits jetzt an der gespaltenen Einstellung der Deutschen. Nur 50 Prozent sprechen sich für ein hartes Vorgehen gegenüber Russland und 43 bis 45 Prozent für Zurückhaltung aus, um „Putin nicht zu demütigen“.

Wer aber Putin verstehen möchte, muss ein bisschen „in seinen und die Köpfe der russischen Elite hineinschauen“, denn Russland befindet sich seit 1991 in einer so genannten postimperialen Konstellation. Kein anderes Land in Europa und darüber hinaus hat jemals den Verfall von zwei Imperien, dem Zarenreich 1917 und der Sowjetunion 1991 erleben müssen, einhergehend mit einem Identitäts- und Statusverlust in Russland und deren Elite und einem „Zusammenschrumpfen“ des territorialen Gebietes auf 76 Prozent seiner ursprünglichen Größe. Putin sieht Russland deshalb als belagerte und bedrohte Festung und versucht seit Jahren dies durch einen immer militanter und aggressiver werdenden, antiwestlichen Nationalpatriotismus zu kompensieren, weil der den Westen beschuldigt, diese damalige Schwäche ausgenützt zu haben.

Dr. Schmid ist sich sicher, dass diese imperialistischen Traditionen das Denken und Handel dieser russischen Elite noch mindestens zwei Generationen prägen werden. Historisch versierte Fachleute sind sich aber sicher, dass es diese imperialistische Tradition in Russland real nie gegeben hat. Putin will offenbar die Uhr zurückdrehen und die Auswirkungen des Zerfalls der Sowjetunion revidieren. Auch das russische Volk empfindet den Zerfall der Sowjetunion bis heute als tiefe Kränkung.

Wer Putin verstehen will, muss einen Punkt ganz besonders beachten, dass die Erfahrung des Zerfalls von Strukturen, von Gebilden ein prägendes Element in Putins Weltsicht einnehmen. Sicher ist diese Sicht in seiner Zeit als KGB-Offizier von 1985 bis 1990 in Dresden geweckt worden. Wöchentlich berichtete er damals an die Zentrale, verbunden mit der Frage: „Ich bin Augenzeuge des Scheiterns der unfähigen Führung der DDR - was soll ich tun?“. Als Antwort kam offenbar immer wieder zurück: „Wir wissen es auch nicht, wir zerfallen auch gerade!“, nachzulesen in dem Buch „Aus erster Hand“, erschienen Ende 2000.

Aus dieser Erfahrung und der des Zerfalls der Sowjetunion, ist der „Stop des Zerfalls“, Putins zentrale Denkkategorie. Seine Abwendung vom Westen, seine Selbstradikalisierung, auch ideologisch, war ein stufenweiser Prozess, mit vielen Zäsuren und Etappen und für deutsche und internationale Politiker nicht, wie immer wieder kolportiert wird, zu durchschauen. Es gab also keinen „geheimen Plan“, da Putin, im Gegensatz zur Chinesischen Führung, nie ein Stratege sonder eher ein Spieler und Taktiker war und ist.

Sein Vorgehen entwickelt er, nach seinen eigenen Worten, durch die genaue Beobachtung seiner Gegner und der Wahrnehmung derer Schwächen. Noch 2001, bei seiner legendären Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25. September, hätte man meinen können, der amerikanische Präsident spricht über Demokratie. Bei seiner Rede am 10. Februar 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz brach dann aus Putin bereits tiefste Frustration heraus als er feststellte: „Der Westen hat und betrogen, der Westen hat uns im Stich gelassen!“.

Im Zeitraum zwischen diesen beiden Terminen passierte offenbar Dinge, die Putins Denken massiv beeinflusst haben müssen. Dazu gehören die „Farben-Revolutionen“ im post-sowjetischen Raum wie die Rosen-Revolution 2003 in Georgien, die orangene Revolution 2004 in der Ukraine und die Tulpen-Revolution 2005 in Kirgisien. In der EU-Erweiterung 2005 und die Nato-Erweiterungswelle von 1999 bis 2004 sah sich Putin in seiner Wahrnehmung: „Der Westen will mir eine exklusive Einflusszone nicht gestatten“, bestätigt. Allerdings behauptete er 2004 noch mehrmals, dass er in der Nato-Osterweiterung keine Gefahr für Russland sehe.

In all seinen Reden klingt heraus, dass der Zerfall der Sowjetunion: „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhundert war“ und dies so schnell als möglich revidiert werden müsse. Konträr dazu sieht das russische Volk als größte Katastrophe den Zweiten Weltkrieg mit 27 Millionen Toten. Putin möchte zwar keinesfalls den Status der früheren UdSSR wieder herstellen, will aber so behandelt werden wie die ehemalige Sowjetunion. Allerdings ist Russland nur auf militärischer und nuklearer Ebene weltmachttauglich und nicht wie etwa China und die USA, die in verschiedensten Feldern eine Weltmachtstellung innehaben. Also muss Russland den fehlenden Einfluss auf diesem einen Feld kompensieren.

Warum die Ukraine Ziel der russischen Aggression wurde, ergibt sich aus deren großen strategisch, geopolitisch, ökonomisch und psychologischen Bedeutung, als Kornkammer, Rohstoffquelle und Waffenschmiede der früheren Sowjetunion. Noch 1991 bestätigte die Duma und Präsident Jelzin der Ukraine die uneingeschränkte Souveränität. Auch im Budapester Momorandum vom 5. Dezember 1994, mit unterschreiben von Großbritannien und den USA als Garantiemächte, garantierte Russland die territoriale Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine auch sicherheitspolitisch. Noch im Mai 1997 wurde im sogenannten großen Vertrag eine bilaterale Freundschaft, in dem auch die Zugehörigkeit der Krim und Sewastopols zur Ukraine bestätigt worden waren, mit Bekräftigung des völkerrechtlichen Gewaltverbotes besiegelt. „Diese Verträge hat Putin nun in die Tonne getreten!“.

Zur Radikalisierung und Hinwendung zum Denken in Geheimdienst-Kategorien habe sicher auch die Massendemonstrationen in Moskau nach Wahlfälschungen 2011 und 2012 und der Beginn der Maidan-Prozesse in der Ukraine beigetragen. Bis zur Feststellung Putins, dass die seines Erachtens korrupte, narzisstische, vom Westen geleitete Elite der Ukraine, Verräter, ja Abschaum sei und daher vernichtet werden müsse, war nur noch ein kurzer Weg, der ab 25. Februar umgesetzt werden sollte.

Im Grunde sieht sich Putin als Geschichtsvollzieher, der ein historisches Projekt, nämlich eine konservative Revolution von oben umsetzt. Seines Erachtens sind Russland, die Ukraine und Belarus eine Nation, die wiedervereinigt werden müsse. Für ihn ist auch die Dominanz des Westens vorbei und zusammen mit China strebt, nach Putins Worten, nun Russland eine neue globale Machtverteilung an.

Was dies bedeutet, wird die Zukunft zeigen. Angesicht des fundierten Vortrages erntete Professor Dr. Gunter Schmid zum Abschluss verdienten Applaus.

wb

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