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Kommunen im erbitterten Wettstreit: Das sind die Steueroasen in unserer Region

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Von: Matthias Schneider, Sascha Karowski, Stefan Huber, Marc Beyer

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Symbolbild/Themenbild: Die kommunale Gewerbesteuer wird häufig als Lockmittel für Unternehmen angesehen.
Symbolbild/Themenbild: Die kommunale Gewerbesteuer wird häufig als Lockmittel für Unternehmen angesehen. © Bayerisches Landesamt für Statistik - Grafik: Münchner Merkur/dpa/Bildcollage Re.

Wie viel Gewerbesteuer ein Unternehmen zahlen muss, kann jede Kommune frei entscheiden. Das führt immer wieder dazu, dass Firmen München Richtung Umland verlassen. Während in der Landeshauptstadt der Ärger wächst, sehen die Gemeinden den Steuer-Konkurrenzkampf als Chance.

München – Das Steuerparadies ist reichlich verwittert. Die Holzwände haben schon bessere Zeiten gesehen, ein paar Türen hängen windschief in den Angeln. Insgesamt ist der Charme des Gebäudes äußerst rustikal, aber so ungewöhnlich ist das auch wieder nicht – vorausgesetzt, man sieht den Seegrasstadl im Ebersberger Forst als das, was er immer war: als Zweckbau, der vor Wind und Wetter schützen soll. Und nicht als Firmenzentrale international operierender Unternehmen.

Seegrasstadl im Ebersberger Forst: Über Landkreisgrenzen hinweg berüchtigt

In guten Zeiten hatten mehr als ein Dutzend Unternehmen hier ihren Sitz oder zumindest den Briefkasten. Der Stadl ist längst über die Landkreisgrenzen hinaus berühmt und mittlerweile auch ein bisschen berüchtigt. Wer will, kann ihn als sichtbares Zeichen der Auswüchse sehen, die die Jagd der Gemeinden auf Gewerbesteuereinnahmen und die der Firmen auf niedrige Steuersätze zuweilen mit sich bringt.

Weil die Kommunen deren Höhe selbst festlegen können, ist ein Wettbewerb zwischen den Standorten entbrannt, in dem es um Firmenansiedlungen, Arbeitsplätze und in der Folge die Stärkung der lokalen Infrastrukturen geht. Lassen sich genug Unternehmen nieder, bringt das der Gemeinde eine Menge Geld. Um sie zu locken, muss sie vorher aber erst mal auf welches verzichten.

Bayerische Hausbau: Immo-Konzern geht nach Pullach

Jüngstes Beispiel ist die Bayerische Hausbau. Der Münchner Immobilienkonzern kündigte am Mittwochabend an, nach fast sechs Jahrzehnten die Landeshauptstadt zu verlassen und seinen Firmensitz nach Pullach zu verlegen. Ganz offen begründete er diesen Schritt mit „steuerlichen Vorteilen“. In Pullach liegt der entsprechende Hebesatz bei 260 Prozent, in München bei 490. Im Umland wird die Bayerische Hausbau also künftig nur noch knapp halb so viel Gewerbesteuer zahlen wie innerhalb der Stadtgrenzen.

„Absurdität von Gewerbesteuer-Oasen“

Christian Köning, Vorsitzender der Münchner SPD, wertet den Vorgang als Beleg für die „Absurdität von Gewerbesteuer-Oasen“. Gemeinden wie Grünwald oder Pullach, aber auch Firmen, die dorthin ziehen, beteiligten sich an einem „ruinösen Gewerbesteuer-Dumping“. Am Ende fehle das Geld in München für Schulen, Kitas, günstigen Wohnraum, ÖPNV, Klimaschutz. Er fordert eine Anhebung des Mindesthebesatzes von aktuell 200 Prozent, um für die „Trockenlegung“ der Oasen zu sorgen. Auch der Stadtkämmerer stößt in dieses Horn.

Grafik zum Ausklappen: Die Hebesätze in Oberbayern.
Grafik zum Ausklappen: Die Hebesätze in Oberbayern. © Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik - Grafik: Münchner Merkur

Wie kommunale Vertreter über den Wettbewerbsfaktor Gewerbesteuer denken, hängt naturgemäß davon ab, wen sie repräsentieren: die abgebende oder die aufnehmende Kommune. Pullachs grüne Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund nennt die Gewerbesteuer „unsere wichtigste Einnahmequelle Vor fast 20 Jahren beschloss die Gemeinde eine deutliche Senkung. „Es hat sich ausgezahlt.“ Schulen, Straßenbau und Freizeiteinrichtungen profitierten. Man sei rundum eine „attraktive Gemeinde für Firmen“.

Holzkirchen: „Steueroase und das Monaco Bayerns“

In Holzkirchen ist es ganz ähnlich. Dort verdankt man nicht zuletzt der Senkung des Hebesatzes im Jahr 2005 die Ansiedlung des Pharmakonzerns Sandoz. Die Marktgemeinde im Landkreis Miesbach setzte sich wenig später gegen Mitbewerber wie Wien und Basel durch. Josef Höß, der damalige Bürgermeister, schwärmte, man sei nun „Steueroase und das Monaco Bayerns“.

Ein bisschen Mittelmeerflair würde man sich heute auch in Taufkirchen im Landkreis München wünschen. Im kommenden Jahr soll der Gewerbesteuer-Hebesatz deshalb von 310 auf 250 Prozent gesenkt werden. Kurzfristig könnte dadurch ein Defizit in der Haushaltskasse entstehen, weswegen man vier Millionen Euro als Puffer zurückgelegt hat. Mittelfristig soll sich der Schritt dafür umso mehr auszahlen. Ganz offen formuliert man auch hier das Ziel, als Standort attraktiver zu werden. Rund um das neue Bahnhofsgelände sollen sich Firmen ansiedeln.

Ein niedriger Hebesatz sei schon wichtig, bestätigt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Gleichzeitig sei er aber auch nur „einer von zahlreichen Faktoren für Standortentscheidungen von Unternehmen“. Gößl nennt darüber hinaus die Verfügbarkeit von Gewerbeflächen und Arbeitskräften, Energiekosten oder Verkehrsanbindung. Auch München sei deshalb „im Faktoren-Mix nach wie vor attraktiv“.

Bürgermeisterin hört Begriff Oase nicht gerne

In Pullach legt man derweil besonderen Wert auf die Feststellung, dass das Steuermodell der Gemeinde juristisch nicht zu beanstanden sei. Den Begriff Oase hört Bürgermeisterin Tausendfreund dann auch nicht gerne: „Viele verbinden damit ein unredliches Verhalten.“ Man habe „so gut wie keine Briefkastenfirmen“, die Unternehmen in Pullach seien „real und zahlen ihre Steuern“. Nur eben weniger als anderswo.

Im Ebersberger Forst ist die Gewerbesteuer-Euphorie verflogen. Die Finanzbehörden sehen im Seegrasstadl mittlerweile keinen plausiblen Firmensitz mehr. Ein Gericht muss nun klären, ob die Konstruktion rechtens war oder die Gewerbesteuer nicht vielmehr der Stadt München zugestanden hätte. Es geht um über 23 Millionen Euro. 

Infobox: So funktioniert die Gewerbesteuer

Unternehmen müssen in Deutschland Steuern zahlen. Dazu ermittelt zunächst das Finanzamt den Steuermessbetrag eines Betriebes. Dabei wird vom Gewinn eines Unternehmens beispielsweise der Freibetrag abgezogen, der Rest wird mit der einheitlichen Steuermesszahl 3,5 Prozent multipliziert. Bei einem Gewinn nach Abzug von 100.000 Euro würde der Messbetrag 3.500 Euro betragen. Dieser wird den Kommunen gemeldet, die jeweils selbstständig ihre sogenannten Hebesätze für die Gewerbesteuer festlegen. In München beträgt dieser aktuell 490. Die 3.500 Euro werden demnach zu 490 Prozent veranschlagt, demnach muss das Unternehmen in München 17.150 Euro Gewerbesteuer zahlen. Bei Gemeinden im Umland liegen die Hebesätze zwischen 240 und 360.

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