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„Jede Nacht kommen die Albträume“: Wie es einer Aiblingerin (63) nach blutigem Überfall geht

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Von: Kathrin Gerlach

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Die Weißenburgstraße in Bad Aibling: Im Hinterhof des Gebäudes auf der rechten Seite (Mitte) wurde am 12. Februar eine 63-jährige Frau von einem Angreifer brutal niedergeschlagen.
Die Weißenburgstraße in Bad Aibling: Im Hinterhof des Gebäudes auf der rechten Seite (Mitte) wurde am 12. Februar eine 63-jährige Frau von einem Angreifer brutal niedergeschlagen. © Gerlach

Anna M. hat überlebt. Am 12. Februar wurde sie von einem 23-jährigen Eritreer fast totgeschlagen. Blutüberströmt und mit schwersten Kopfverletzungen konnte sie gerettet werden. Am Donnerstag, 28. Juli, beginnt der Prozess gegen den Angreifer. Anna sagt als Zeugin aus. Doch sie hat Angst.

Bad Aibling – Am Donnerstag, 28. Juli, betreten Hans und Anna M. aus der Weißenburgstraße in Bad Aibling das erste Mal in ihrem Leben ein Gerichtsgebäude. „Wir hatten nie etwas mit Polizei, Anwälten oder dem Gericht zu tun“, sagt der 62-jährige Bad Aiblinger. Doch am Abend des 12. Februar hat sich das schlagartig geändert: Ein 23-jähriger Eritreer griff in der Dunkelheit eines Hinterhofs die 63-jährige Anna M. an und schlug sie nieder. Sie hat den Überfall schwer verletzt überlebt. Heute muss sich der Täter vor dem Landgericht Traunstein wegen versuchten Totschlags verantworten. Anna, Hans und ihre Nachbarn werden dabei sein: als Opfer und als Zeugen.

Attacke im Hinterhof

„Ich hoffe, dass ich ihn nicht sehen muss“, sagt Anna. Um 10 Uhr steht sie am Donnerstag, 28. Juli, als Zeugin vor Gericht, muss all das wiedergeben, was ihr am Abend des 12. Februar widerfahren ist, und was sie seitdem jede Nacht aufschrecken lässt. Plötzlich stand der Angreifer vor ihr, im dunklen Hinterhof des Hauses, in dem sie mit ihrer Familie seit 32 Jahren lebt. „Mit Kapuze vermummt. Mit funkelnden, bösen Augen“, erinnert sie sich. Erst bewarf er sie mit kiloschweren Steinen. Dann stürmte er auf sie los und schlug zu. Mit einem großen Stein. Mit einer Bierflasche. Direkt auf ihren Kopf. Immer und immer wieder.

Ihr Mann Hans hörte die Schreie seiner Frau, stürmte aus dem Haus. Es gelang ihm, den tobenden Schläger von seiner Frau abzubringen. Sie floh auf das gegenüberliegende Grundstück. Die Nachbarn ließen sie ein, halfen ihr. „Sie haben meine Frau gerettet“, ist Hans dankbar. Gemeinsam mit einem Nachbarn bringt er den Angreifer zur Räson, hält ihn so lange am Boden fest, bis die Bad Aiblinger Polizei eintrifft.

„Er war ganz komisch, wirkte wie unter Drogen oder total betrunken“, beschreibt Hans. Heute kennt er die Diagnose der Ärzte: „Sie haben ihm eine paranoide Schizophrenie bescheinigt. Zur Tatzeit soll er Wahnvorstellungen gehabt haben.“ Seitdem befindet sich der Angreifer in der geschlossenen Abteilung einer forensischen Fachklinik.

Die Diagnose seiner Frau Anna ist blutiger: Die Schläge haben ihr Gesicht zertrümmert. Sie hat Frakturen der Stirnhöhle, des Nasenbeins, der Augenhöhlen, des Kiefers, drei Platzwunden am Kopf, Prellungen an den Händen. „Sie war blutüberströmt. Es war eine Tragödie“, erinnert sich Hans.

Auf diesem Hinterhof ereignete sich der Überfall.
Auf diesem Hinterhof ereignete sich der Überfall. © Archiv/Gerlach

Nach mehreren Operationen kann sie Ende Februar das Krankenhaus wieder verlassen. Äußerlich ist sie fast wieder die Alte. „Bis auf eine Narbe mitten auf der Stirn. Die bleibt“, sagt sie. Die schweren Verletzungen am Kopf sind behoben. Geblieben sind die Schmerzen und die Narben auf ihrer Seele, die keiner sieht. Bis heute verfolgt sie der Überfall in ihren Albträumen. Psychologen standen ihr nur in der Klinik zur Seite. Jetzt muss sie allein klarkommen.

„Wir müssen wieder ins normale Leben zurückkehren“, sagt ihr Mann. Deshalb arbeiten beide schon lange wieder: er in einem Autohaus, sie in einer Schule. Von dort kommt Anna normalerweise kurz nach 17 Uhr nach Hause. „Wie das im Herbst und Winter werden soll, weiß ich wirklich nicht. Dann ist es um diese Zeit schon wieder dunkel. Und die Dunkelheit fürchte ich – seit diesem Tag.“

Anna hat Todesängste ausgestanden. Am Donnerstag, 28. Juli, muss sie vor Gericht noch einmal darüber berichten. „Sobald sie an den brutalen Überfall erinnert wird, fängt sie an zu weinen“, weiß ihr Mann. Der Anwalt habe ihr zumindest versprochen, dass sie dem Täter vor Gericht nicht begegnen werde. Davor scheut sie sich, denn: „Sein Gesicht vergesse ich nie. Diesen Blick, diese funkelnden Augen“, beschreibt sie ihre Verfassung.

Hans und Anna M. haben redlich gelebt und gearbeitet, drei Jahrzehnte lang jeden Cent für die Rente zurückgelegt. Jetzt sind sie unverschuldet in eine Lage gekommen, in der sie ihre Ersparnisse angreifen müssen. Sie haben keine Rechtsschutzversicherung, müssen ihren Anwalt aus eigener Tasche bezahlen. „Dabei sind wir die Opfer. Doch uns hilft keiner, nicht einmal der Weiße Ring“, ist Hans enttäuscht. Dass sie Schmerzensgeld bekommen, bezweifeln sie.

„Ich hoffe, dass er eine gerechte Strafe bekommt“, sagt Hans. Er weiß, dass das Schicksal seiner Frau kein Einzelfall ist. „Sie hat Gott sei Dank überlebt, die drei Frauen in Würzburg nicht“, erinnert er an einen ähnlich gelagerten Fall.

Den Verhandlungstag am Donnerstag, 28. Juli, wollen die beiden Bad Aiblinger einfach nur hinter sich bringen. „Ich hoffe, dass ein Verhandlungstag reicht und das Urteil gesprochen wird“, sagt Hans. Am Montag, 1. August, wollen die beiden in den Urlaub fahren. „Einen Punkt machen, alles hinter uns lassen, in der polnischen Heimat wieder Kraft tanken“, hofft Anna auf eine Auszeit für die Seele.

Familie will weg vom Ort des Verbrechens

Doch nach dem Urlaub müssen sie wieder zurück in die Weißenburgstraße – an den Ort, an dem sie am 12. Februar fast gestorben wäre. Das Gefühl von Heimat gibt es für Hans und Anna M. hier nicht mehr – auch wenn die Straße auf den ersten Blick ein friedlicher Ort zu sein scheint.

Sie würden gern umziehen, einfach weg vom Ort des Grauens. Doch eine bezahlbare Wohnung finden sie nicht. „Sie wissen doch, wie es um den Wohnungsmarkt in Bad Aibling steht“, bedauert Hans, seiner Frau diesen Wunsch nicht erfüllen zu können. „Wenn wir eine Wohnung bekämen, wären wir sofort hier weg.“

Hans und Anna haben den OVB-Heimatzeitungen ihre Geschichte erzählt. Ihren richtigen Namen möchten sie nicht preisgeben. Auch ein Foto scheuen sie.

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